Mal wieder war ein Sturm über das Land gefegt.



Am Morgen nach dem Sturm kam ein Buntspecht in ihren Garten und fragte, wo denn der Kopf der Weidenfrau geblieben sei. Oh-ja, der Sturm hatte ihren Kopf weggeweht. Ein wenig kopflos hatte sich Blaue Feder auch in der vergangenen Zeit gefühlt. Was war bloß los mit ihr? Warum war sie so dünnhäutig?
Dann fragte der Buntspecht: „Gibt es heute keine Erdnüsse?“
Blaue Feder hatte vergessen, welche zu kaufen.
„Soso“, sagte der Buntspecht und nahm mit den Körnern im Vogelhaus vorlieb.
Seit ein paar Tag, begegnete Blaue Feder in ihrem Garten der Krönchennatter. Erst erschrak sich Blaue Feder, als sie ihr das erste Mal begegnete, weil sie so groß geworden war. Beim zweiten Mal erschrak sich die Krönchennatter, die in der Sonne döste, weil Blaue Feder so groß geworden war. Wie das Spiel wohl weiter ging? Wenn Blaue Feder einer Schlange begegnete, hatte sie den Eindruck, etwas Neues nahm seinen Anfang und etwas Altes verabschiedete sich. Blaue Feder spürte schon seit einiger Zeit, es würde sich in ihrem Leben etwas verändern.
Während die Lütte mal wieder friedlich schlief, schlich sich Blaue Feder ins Atelier.

Sie war auf der NordArt von den Insekten und den anderen genähten Wesen begeistert gewesen. Im Atelier wartete schon Skulpturendraht auf sie. Ein sehr großes Buch über Insekten ‚Die wunderbare Welt der Insekten‚ hatte sie bestellt, das Ulrike Sokul vor Kurzem vorgestellt hatte und darin waren tolle Illustrationen von Insekten – wie Baupläne. Sie hatte Lust eine Libelle aus Draht und Stoff zu weben. Ein Reittier für ihre Elfe Frida, weil Elfen so gerne auf Libellen reiten. Frida staunte, was Blaue Feder alles so konnte und Blaue Feder staunte auch. Sie fing einfach irgendwo an und ließ es sich entwickeln.
Der Draht war sperrig und ab und an pickste er sie. Es war anders mit diesem Material zu arbeiten. Es bot ihr mehr Widerstand. Als sie so saß und die Flügel der Libellen nähte, war ihr grad so, als bekäme sie neue Flügel – keine Engelsflügel, sondern Libellen-Flügel – goldene und silberne transparente Flügel, in denen sich das Licht der Sonne brechen und sich die Farben des Regenbogens spiegeln können.
Als sie zur Ruhe kam, spürte sie Angst in sich aufsteigen. Ihr wurde ganz mulmig. Jetzt wurde ihr klar, wovor sie Angst hatte. Sie hatte eine Lesung auf der Ausstellung angekündigt und sie hatte Angst vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen. Diese Angst begleitete sie schon ihr ganzes Leben und war wohl schon 1000 Jahre alt.
Als sie diese Zeilen schrieb, stand die Sonne im Löwen gegenüber vom Saturn im Wassermann und warf ihr Licht auf das Thema. An den Tagen der Ausstellung würde die Sonne ihr Licht auf ihre Hüterin der Schwelle werfen, die bei der Blauen Feder ganz am Ende vom Wassermann, Hand in Hand mit dem Götterboten Merkur in den Fischen stand. Dort, wo sie auf uns wartet, liegen meistens die größten Steine auf unserem Weg.
Von Runde zu Runde, von Tor zu Tor, von Schwelle zu Schwelle stellt uns die alte weise Hüterin der Schwelle ihre Aufgaben. Wie bei Frau Holle müssen wir gebackenes Brot aus dem Ofen zu holen, die Äpfel vom Baum schütteln und das Bett fleißig ausschütteln, damit es in der Welt schneit. Doch irgendwann kommt die Zeit und wir dürfen heimgehen. Frau Holle führt uns durch ein Tor, Gold fällt auf uns nieder und sie gibt uns die Spindel wieder, die in den Brunnen gefallen war.
Blaue Feder lernte mit der alten weisen Hüterin der Schwelle zu lauschen, zu warten und auf ihr Herz zu hören. Sie wohnte bei ihr im Vierten Haus, im Haus der Mutter. Mit der Zeit fand sie die Geborgenheit und die Liebe in ihrem Herzen, die sie im Außen nicht gefunden hatte und so kann aus unserer größten Schwäche eine große Stärke werden. Schon im vergangenen Jahr wollte sie Geschichten vorlesen und hatte sich nicht getraut. Dem vorzubeugen, hatte sie Brauner Bär gebeten, es auf die Einladungskarten zu drucken. Jetzt wollte sie am Liebsten alles absagen und während sie dem Trotz anheim fiel, hatte sie die ganze Zeit Herz-Schmerzen.
Doch kam sie sich langsam auf die Schliche, lauschte in ihr Herz und fragte sich, was ihr vielleicht helfen konnte ihren Herzenswunsch zu erfüllen. Sie hatte ja noch zwei Wochen sich vorzubereiten. Vielleicht konnte sie sich ihrer Angst stellen? Vielleicht war die Angst sogar eine Alt-Vertraute? Sie saß vor ihrem Narrenkastle und eine kleine Libelle grinste sie breit an. Sozusagen, die Miniatur-Ausgabe der Libelle, die sie gerade bauen wollte.

Wenn Blaue Feder Libellen sah, dann erinnerte sie sich an ein Konzert von Patti Smith im Stadtpark in der Großen Stadt. Bevor Patti sang, erzählte sie eine kleine Geschichte. Sie hatte Angst vor ihrem Auftritt und hatte sich auf’s Klo zurückgezogen. Dort begegnete sie ‚Heartly, the Dragonfly‘. Sie musste lachen als ihr ‚Heartly, the Dragonfly‘ in die Augen schaute und die Libelle nahm ihr die Angst. Blaue Feder wusste nicht, ob sie die Geschichte richtig erinnerte, aber sie hatte sie so verstanden und diese Geschichte hatte sie damals sehr berührt; auch, wie offen Patti, diese ‚Lady of the Rock‚, auf der großen Bühne von ihren Ängsten sprach.
Vielleicht holte sich Blaue Feder deshalb eine große Libelle an ihre Seite? Vielleicht nahm ihr ‚Heartly, the Dragonfly‘ auch die Angst vor ihrem Auftritt. Vermutlich, war es das Lachen, das half!

Eigentlich wollte sie nur ihre Geschichten vorlesen, wie sie es früher tat im Haus der Kinder. Sie hatte es geliebt, den Kindern Geschichten zu erzählen. Wenn es mit kleinen Kindern ging, warum denn nicht mit großen Kindern? Außerdem hatte sie einen Text in der Hand, sie war in einem vertrauten Raum und hatte liebe Menschen um sich. Sie würde es wahrscheinlich mit viel Herz machen und lachen, wenn sie sich verhaspelte, denn sie lachte doch so gerne. Vielleicht war es garnicht mehr so schlimm, wie früher, wo sie sich so sehr geschämt hatte.
– Was hatte ihr die Geschichtenerzählerin mit auf den Weg gegeben?
‚Jeden Satz, den Du hörst, verbinde ich mit einem unverwechselbaren Bild. Dann ordne die Bilder und erzähle die Geschichte mit Freude, Liebe und Dankbarkeit.‘
Geschichten mit anderen zu teilen, ist ein Geschenk und eine alte Tradition. Es verbindet Menschen noch einmal anders miteinander. Vielleicht konnte sie es so sehen und dankbar sein für die Möglichkeit, es aus ihrem Herzen heraus, tun zu dürfen.
Als sie ihre Bilder zeigte, die sie in diesem Jahr gewebt hatte, fiel ihr die erste Geschichte von ‚Arthur‚ ein. Manchmal ist im Anfang schon alles verborgen. Arthur hatte das ‚Kraut der Mutter‚ gesucht, das seine Trauer um die verstorbene Mutter lindern sollte. Das Kraut der Mutter war der Beifuss, auch Artemisia genannt. Auf der Suche nach dem Kraut fand er viele neue Freunde. Vielleicht konnte auch ihr das Kraut helfen? Sie ging in den Garten und setzte sich ein wenig zum Beifuß, der schon wieder in den Himmel wuchs.

Beifuß ist das Geschenk der Göttin Artemis und wird gerühmt als Mutter aller Pflanzen. Sie wird auch Mugwurz und Machtwurz genannt, das bedeutet aus Keltischer Überlieferung ‚Wurzel‚. Eine Wurzel, die kräftigt und wärmt. Der Beifuß konnte ihr vielleicht neue-alte Wege zeigen. Einst malte sie ihn mit der Krönchennatter zusammen.

Blaue Feder hatte in der 90er Jahren ein Atelier in der Großen Stadt und sie hatte es ‚Artemis‘ genannt. ‚Artemis‘ hatte sie schon immer begleitet. Als sie hier ihr Atelier auf dem Land eröffnete, verewigte sie sich gleich beim Bedrucken von Stoffen auf dem Fußboden mitten in ihrem Atelier.
‚Fühle die Freiheit im Herzen und fühle wie Du diese Freiheit leben kannst!‘ raunte ihr der Beifuß zu.

Über das Jahr hatte sich starke Medzin in ihrem Narrenkastel angesammelt. Sie anzuwenden, lag an ihr. Also machte sie sich einen Tee von Artemisia, dessen Duft sie so sehr liebte.

Mit dem Geruch flog sie heim. Heim auf eine Hochebene irgendwo in Zentralasien, in der Mongolei oder in Tibet vielleicht. Dort stand ihr Zelt. Sie setze ich ans alte Feuer und sang ihr Lied. Draußen grasten ein paar Yaks. Ein Adler kreiste am hoch oben am Himmel. Sie sah sich als die, die sie im Herzen schon immer gewesen war, eine uralte Geschichten-Erzählerin an ihrem Feuer.
Blaue Feder legte sich eine Musik von Gabrielle Roth auf ‚Zone unknown‘und tanzte im Norden mit dem Berg und erdete sich erst einmal wieder. Wenn wir Angst haben, verkrampfen wir uns, verlieren den Boden unter den Füßen und hören auf zu atmen. Sie klopfte ihren Körper liebevoll wach, atmete tief durch und spürte die Erde unter ihren Füßen.
Beim kommenden Lied lud sie den Beifuß ein, mit ihr zu tanzen. Sie hielt einen Stängel Beifuß ins Feuer, der Rauch stieg auf und sie tanzte im Osten mit dem Beifuß. Sie roch den vertrauten Duft und tanzte wie eine Schlangentänzerin in ihrem Tempel um das Feuer herum.
Sie wurde selbst zur Schlange, zur Libelle, zum Drachen und tanzte im Süden durch ihren ganzen Raum. Sie nahm den ganzen Raum ein. Sie spürte ihre Lebendigkeit, ihre Freude und ihre Lust.
Im Westen lud sie den Buntspecht ein, mit ihr zu tanzen. Er wird auch ‚Lach-Vogel‘ genannt, weil sein Ruf stark ans Lachen erinnert .Sie tanzte das ‚Große Lachen‚ des Buntspechtes. Der Buntspecht trommelte auf seiner Trommel. Sie tauchte in den Rhythmus ihres Herzens und sie landete dort, wo sie immer Zuhause und geborgen war, in ihrem Herzen.
Sie setzte sich auf ihren kleinen Thron und spürte, sie war die Königin in ihrem Reich und sie regierte ihr Land aus dem Herzen heraus. Ihre Liebe, ihre Geborgenheit und ihr Gefühl von Heimat lagen in ihrem Herzen. In ihrer Sanftheit lag ihre ganze Macht.
Für Blaue Feder war der Tanz ihre Meditation. Manchmal zog sie ihr Kleid mit den Elementen an und tanzte sich durch die Elemente. Manchmal zog sie auch ihr grünes Kleid an und ging in die Natur….
In dieser Zeit tut es gut, sich vom Bildschirm zu verabschieden und in die Wunder der Natur einzutauchen. Den Schmetterlingen und Bienen zuzuschauen wie sie von Blüte zu Blüte fliegen, den Grillen zu lauschen im Gras oder am Wasser zu sitzen und mit den Libellen über den See zu fliegen.
Mal wieder gehen wir in die Neumondzeit. Blaue Feder wird das Tor zu ihrem Herzen öffnen, denn wer weiß, vielleicht fällt ein Goldregen auf sie nieder und sie bekommt ihre Spindel wieder.

Wer ihren Geschichten lauschen möchte, sich ihren Geheimen Garten anschauen und mit Heartly the Dragonfly eine Runde durch die Ausstellung fliegen möchte, kann das gerne am 21. und 22. August von 14:00 bis 18:00 Uhr. Am Samstag um 17 Uhr könnt ihr Euch zu Blaue Feder ans alte Feuer setzen und im Duft vom Beifuss ihren Geschichten lauschen.


Heartly, Blaue Feder