Sie nahm die Kleine bei der Hand

Die Kleine von der Fünffingerlinde ging Blaue Feder noch nach. Sie setzte sich abseits der lauten Menschenmenge auf eine Bank. Blaue Feder hätte sie gerne mitgenommen und beschützt. Die Kleine erinnerte sie wohl an sich selbst.

– Sie nahm die Kleine bei der Hand und ging mit ihr in ihren Raum, in ihr Atelier. Sie holte das Blaue Geschirr aus der Vitrine wie es schon ihre Oma einst tat. Sie setzte das Teewasser auf. Es gab einen Kräutertee aus ihrem Garten in Blauen Tassen. Sie hatte einen Hefezopf gebacken und der wurde mit gelber Butter bestrichen. Sie saßen zusammen an dem Tisch. Draußen im Garten sangen die Blaumeisen im Apfelbaum. Der Duft der Apfelblüten erfüllte ihre Herzen.

Sie legte der Kleinen Esmeralda in den Arm. Esmeralda war eine kleine Puppe mit wilden Haaren. Rot und Blau waren ihre Haare. Sie trug eine Perlenkette aus roten Korallen, die Blaue Feder zur Geburt von ihrer Oma geschenkt bekam.

Nun zog die Kleine mit Esmeralda los. Esmeralda zeigte ihr, wer alles in dem Atelier von Blaue Feder zuhause war. Zuerst besuchten sie Aslan, einen dicken, gelben Drachen. Die Kleine fragte Aslan, ob er denn auch Feuer spucken könne. ‚Ich kann wohl auch Feuer spucken‘, antwortete er, ‚aber wichtiger ist es wohl, dass ich Dein inneres Feuer der Begeisterung entzünde. Steigt auf meinen Rücken und dann fliege ich mit Euch eine Runde durch das Atelier.‘ Sie stiegen auf seinen Rücken und flogen im hohen Bogen durch das Atelier. Huihhh, das machte Spaß! Sie landeten auf einem großen bunten Labyrinth. Es war wohl ein Spiel, denn es gab einen Würfel. Die Kleine nahm den Würfel und würfelte eine Eins und ging ein Feld weiter im Labyrinth. Dann entdeckte sie, der Würfel trug nur Einsen auf allen Seiten. Sie schaute Esmeralda fragend an.

‚Durch das Labyrinth des Lebens gehen wir Schritt für Schritt. Es hat keine Eile. Jeder steht in seinem Leben genau dort, wo er oder sie steht. Vielmehr ist es von Bedeutung jeden Schritt mit Bedacht zu gehen. So erkennen wir unsere Stärken und unsere Schwächen, lernen sie anzunehmen und wir lernen unsere wahren Fähigkeiten kennen.‘

Wieder stiegen die Beiden auf den Rücken des Drachen und er flog mit ihnen hinüber zu Emil und die Bärenbande. Auch Emil und seine Bärenbande hatten keine Eile. In ihrer Bärenhöhle ging es eher gemütlich zu. ‚Eile mit Weile‘ gab Emil der Kleinen mit auf den Weg ‚Es ist alles da! Mutter Erde beschützt Dich und versorgt Dich mit allem, was Du brauchst. Vertraue Dich ihr an!‘

Die Reise ging weiter und Aslan brachte die Kleine und Esmeralda zu Frida. Frida ist eine Elfe. Sie trägt einen Wiesenschaumlöffel mit sich, mit dem sie den Schaum am Morgen von den Wiesen ablöffelt. Es sind die Träume, die sie einsammelt. Die großen Träume der Nacht und die kleinen Träume des Tages. Manch ein Traum fließt durch die Löcher ihres Löffeld hindurch. Denn nur die wahren Träume bleiben an ihrem Löffel hängen. Frida ist eine ganz Zarte und sie trägt ein Kleid aus Blumen. Obwohl sie keine Flügel hat, kann auch sie fliegen, weil sie leichter als die Luft war. Sie kennt sich gut mit Kräutern und Blumen aus und kann Dir helfen, das Kraut zu finden, dass Dir gerade gut tut. Frida gehört zu dem Kleinen Volk, doch nur weil es die Menschen ‚Klein‘ nennen, ist es nicht von weniger Bedeutung. Blaue Feder nannte es das ‚Blaue Volk‘, denn als ‚Klein‘ hatte sie es nie empfunden.

‚Mach Dir einen Tee aus …‘ setzte Frida an zu reden, da unterbrachen sie, nicht ganz höflich, ‚Quak, Quak‘ eine Kröte und ein Frosch. Sie nahmen die Kleine in ihre Mitte. Es waren Gloria, die Kröte und Hugo, der Frosch und schon ‚Quak, Quak‘ hüpften sie mit ihr fort und brachten die Kleine zu ‚La Blue Belle‘.

La Blue Belle saß sehr ehrenwürdig auf ihrem Geschichtenteppich und trug ein dunkelblaues Kleid mit Perlenstickerein. Sie war schon etwas älter und schaute die Kleine aus Augen an, die schon viel gesehen hatten. Sie lächelte die Kleine an. Sie holte ihre Karten heraus, die in ein seidenes Tuch gehülllte waren. Sie breitete die Karten vor der Kleinen aus. ‚Ziehe eine Karte, denn wisse, es sind Geschichtenkarten!‘.

Die Kleine zog eine Karte und erblickte auf der Karte ein kleines Mädchen wie sie selbst. ‚Erzählst Du mir ihre Geschichte?‘ fragte die Kleine La Blue Belle. Sie deutete der Kleinen an, sich in ihren Schoß zu setzen und sie fing an zu erzählen, denn wisse, La Blue Belle ist eine Geschichtenerzählerin. Sie erzählte eine Geschichte, die nur für die Ohren der Kleinen bestimmt war und die Kleine strahlte, als sie ihrer Geschichte lauschte.

La Blue Belle gab der Kleinen eine Spindel und etwas Wolle und sie fing an den Faden zu spinnen, ihren eigenen Faden. Sie suchte sich einen Stoff, nahm Nadel und Faden und fing an ein Bild zu gestalten. Sie vergaß dabei die Zeit. Man sah nur, wie sich ihre Wangen vor Freude röteten. Die Zeit verging und sie wirkte ein schönes Bild. Mittlerweile hatten sich alle Bewohner des Ateliers um den Tisch versammelt. Alle saßen zusammen mit der Blauen Feder um den Tisch, tranken Tee aus blauen Tassen und aßen den Hefezopf mit gelber Butter.

Als die Kleine fertig war, zeigte sie ihr Bild. Blaue Feder nahm den Lindenstock und hängte das Bild auf, damit es auch alle bewundern konnte. Blaue Feder erkannte die Fünffingerlinde und die Erdkröte aus dem Riesewohld. Sie sah die Quelle mit dem Gold-Milzkraut und sie sah eine Taube friedlich in der Linde sitzen.

Blaue Feder kannte die Geschichte, die sich ihr zeigte. Denn die Kleine und sie waren eins. Hand in Hand gingen sie zusammen ihren Weg. Hand in Hand spielten sie zusammen im Atelier. Hier spielten sie zusammen mit Aslan, dem Drachen, mit Emil und der Bärenbande, mit Frida – der Elfe und mit La Blue Belle – der Geschichtenerzäherin und ‚Quak, Quak‘ Gloria und Hugo nicht zu vergessen. Denn hier durften sie sein. Hier durften sie spielen. Es war ihr Raum und hier durften nur Leute rein, die ihnen wohlgesonnen war. Kam jemand daher und es fühlte sich doof an, dann konnte die Kleine der Großen einfach am Rock zupfen und 1-2-3 wurden die Türen einfach verschlossen. Denn eins hatte Blaue Feder über die Jahre gelernt, ein klares ‚Nein‘, war ein ‚Ja‘ für sie selbst.

Blaue Feder hatte sich über die Jahre einen Ort geschaffen, einen Ort, wo sie sein konnte, mit all ihren zarten Seiten. Einen Ort, wo ihre Seele frei fliegen konnte. Hier konnte sie ihre Geschichten spinnen.

So feierten sie bis zum Abend, bis die Blumenmondin rund und voll am Himmel erschien. Der Duft der Apfelblüten umwehte ihre Herzen. Ab und an, bot sich Aslan an und nahm jemanden auf seinen Rücken und flog hinaus in die Vollmondnacht. Hoch oben am Himmel hörten sie seinen Ruf und ab und an spuckte er auch Feuer und erleuchtete mit seinem Feuer den Himmel.

– Denn wisse, die Drachen fliegen wieder.

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