Die Önereersken vom Morsumer Kliff

Der Fasan kam am Morgen in ihren Garten und fragte, ob sie nicht ein wenig von der Insel erzählen wollte, dort wo sie ihn jeden Tag hatte rufen hören.

Die Sonne war schon länger in die Fische weitergewandert und die Märzenbecher fingen an zu blühen. Blaue Feder war heimgekehrt von ihrer mal-Aus-zeit auf Sylt. Dort kamen ihr Geschichten von den Önereersken zu Ohr. Manche sagen, sie wären die Ureinwohner Sylts. ‚Öner‘ heißt auf friesisch ‚unter‘ und ‚eersken‘ heißt ‚Erde‘. So sind die Önereersken, die kleinen unterirdischen Wesen, die wir als Zwerge, Pukken oder Trolle kennen. Als Pukka von den Erd-Geistern hörte, war sie Feuer und Flamme mitzukommen auf diese Reise.

Vor dem großen Biike-Fest hatte die Mal-Gruppe das Morsum-Kliff erkundet. Auf Sylt gab es in diesem Jahr 9 Biike-Feuer und eines eben am Morsum-Kliff. Auf allen friesischen Inseln und der Küste brennen am 21. Februar die großen Leuchtfeuer. Blaue Feder wusste nicht, wie oft sie schon mit der Bahn durch Morsum gefahren war und nichts gewusst hatte, von dem zauberumwehten Kliff. Mal wieder fragte sie sich, warum sie nicht ihre gute Kamera mitgenommen hatte. Nun, der Koffer war vollgestopft mit Mal-Sachen. So musste die Geschichte eben mit ihren Handy-Fotos erzählt werden.

Charlotte Nebeling, die ihr freiwilliges Ökologisches Jahr in der Naturschutzgemeinschaft Sylt e.V. machte, führte sie über das Morsum-Kliff und erklärte ihnen, wie es entstanden war.

Da war es wieder dieses Leuchten, wenn Eine machte, was sie liebte.

Schwarz-Rot-Weiß hatten sich die Gesteinsschichten unter Einwirkung der Gletscher der Saale-Kaltzeit vor etwa 120.000 Jahren aus ihrer natürlichen Lage zu mehreren Schuppen schräggestellt, so dass sie in der Reihenfolge ihrer Entstehung nebeneinander im Kliff zu sehen waren. Blaue Feder muteten die Schuppen wie ein großer Drachen an.

Zuerst tauchten sie in den schwarzen Glimmerton, der von uralten Zeiten erzählte.

Im roten Limonit erwachten weitere Drachen.

Hier fanden sich auch die Höhlen der Erd-Geister. Es wird erzählt, einst hatte es Streit gegeben zwischen den Riesen und den Unterirdischen. Das kleine Volk zog dabei den Kürzeren und suchte Zuflucht in den Höhlen am Morsum-Kliff. Ihnen wurde nachgesagt, sie seien ein wenig faul und wenn immer sie eine Hochzeit feierten, würden sie ihr dreckiges Geschirr einfach aus den Höhlen schmeißen. So fanden sich viele zerbrochene Stein-Becher am Fuße des Kliffes. Diese durften nicht mitgenommen werden, doch Pukka hatte wohl diese Ansage von Charlotte nicht gehört und von ihren Ahnen ein Pukken-Geschirr mitgenommen – pssst, nicht Charlotte verraten!

Am Kliff faszinierten Blaue Feder die Spuren von Blauen Steinen. Sie musste noch einmal weiterforschen, was es damit auf sich hatte.

Es folgte die Schuppe mit dem weißen Kaolinsand, das jüngste Gestein, das zur Fertigung von Porzellan benutzt wird.

Der Rundweg über das Kliff war atemberaubend. Auch der weite Blick vom Kliff auf das Wattennmeer war schön. Schwarz-Rot-Weiß wurden sie in die Urgeschichte der Steine eingeweiht und Meermutter Ran hielt sich im Hintergrund.

Die Tage vergingen und sie übten auf Friesisch die Sylter Hymne zu singen, die sie zum Biike-Feuer gemeinsan mit den Einheimischen singen wollten. Friesisch war nicht einfach zu lernen. Doch der Refrain klappte bald gut.

Kumt Riin
Kumt Senenskiin
Kum junk of lekelk Tiren
Tö Söl´ wü hual´ – Aural;
Wü bliiv truu Söl´ring Liren

Kommt Regen, kommt Sonnenschein,
kommen dunkle oder glückliche Zeiten,
zu Sylt wir halten überall,
wir bleiben treue Sylter Leute.

Dann kam der Tag des Feuers und sie verwandelten sich in Fackel-Träger.

Zu Hunderten trafen sich Menschen auf einem Parkplatz beim Morsum Kliff, entzündeten ihre Fackeln und zogen zur Biike. Nach einer Ansprache durften alle gemeinsam das Feuer entzünden und wurde das Lied – Üus Sölring Lön – Unser Sylt angestimmt.

Es war ein beeindruckendes Feuer. Die Feuer-Geister, die Önereersken, die Drachen und die Menschen tanzten gemeinsam um das Feuer. Die Luft-Geister pusteten ordentlich an diesem Abend, dass Rauch in wunderschönen Rosa- und Violett-Tönen aufstieg. Blaue Feder hatte noch nie einen so schönen Rauch gesehen. Draußen auf dem Meer tanzten die Undinen in den Wellen und Meermutter Ran lächelte – und man sah sie selten lächeln!

Gemeinsam wurde der Winter verabschiedet. Blaue Feder gab ihre Schwere ins Feuer, die sich seit einiger Zeit bei ihr eingenistet hatte wie eine gute Freundin und sie lud die Leichtigkeit in ihr Leben ein. In früheren Zeiten wurden die Walfänger mit den Feuern verabschiedet und es war ungewiss, ob sie von ihrer gefährlichen Reise zurückkehren würde oder ob Meermutter Ran sie zu sich holte.

Blaue Feder hörte das Feuer raunen:

‚Spiele mit den Möglichkeiten‘.

Normalerweise wurde hinterher zusammen Grünkohl gegessen. In diesem Jahr gab es den Grünkohl vor dem Fest, damit auch das Küchenpersonal aus dem Klappholttal mitfeiern konnte. Bis tief in die Nacht erlangen die Lieder, wurde gefeiert und gelacht und sah man die Leucht-Feuer in Friesland brennen.

Die Leichtigkeit fühlte Blaue Feder noch nicht in ihren Knochen. Hatte der Zauber der Biike bei ihr nicht gewirkt? Wollte die Winter-Schwere etwa bei ihr bleiben? Und doch erwärmten die gegenwärtigen Sonnentage langsam ihr Herz und ließen den Frühling erahnen.

Sie träumte in der Nacht von einem wunderschönen regenbogenfarbenen Vorhang. Sie erhaschte nur einen kurzen Blick in eine Art Vor-Premiere, wie in einem Opernhaus. Dieser kurze Einblick ließ sie mit großer Freude die Premiere erwarten.

Der Traum erinnerte sie, dass sie in diesem Jahr wieder mehr in Farben tauchen wollte. Blaue Feder hatte an ihrem runden Drachen- Geburtstag eine Weile allein in ihrem Atelier gesessen und sich gefragt, ob es nicht kreativere Möglichkeiten für sie gab, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Prompt schickte ihr die Schwester von Brauner Bär eine interessante Stellenanzeige in ihrer Nähe und sie fing an, mit den Möglichkeiten zu spielen.

Langsam nahm die Mondin wieder ab – wie sie es jeden Monat so elegant hinbekam – beneidenswert! Sie tauchte nun in die Neumond-Zeit, die neue Impulse in ihr Drachentuch webte.

Wieder packte sie ihren Koffer und fuhr auf eine Insel. Es hieß, dass einige Önereersken nach Föhr und auch nach Amrum geflüchtet waren. Auf Föhr wurden die kleinen Puk-Leute Oterbaankin und auf Amrum Onerbäänkin genannt. Blaue Feder wollte ihre Fährte aufnehmen. Wie immer wusste sie nicht, wohin es sie führte, aber sie war gespannt, ob sie die Onerbäänkin auf Amrum fand und was sie ihr erzählen würden.

– Da der Frühling langsam Einzug hält im Tal der BroklandSau, möchte sie noch eine Frühlingsgeschichte da lassen.

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