Füreinander und Miteinander

Es regnete im Tal der BroklandSau – ab und an hatte sich der goldene Oktober blicken lassen mit seinen schönen Herbstblättern. Nun verabschiedete er sich und Blaue Feder zündete sich eine Kerze an.

Die Lichterzeit begann. Die Tage wurden immer kürzer, die Dunkelheit übernahm die Führung. Die Blätter ließen los und sanken zur Erde. An diesem Tag feierten viele Menschen Halloween. In Irland war Halloween eine heilige Nacht, in der die Geister des alten Jahres vertrieben wurden. In Mexiko wurden an diesen drei Tagen vom 31. Oktober bis zum 2. November die Días de los Muertos gefeiert. Nach altmexikanischem Glauben kommen die Ahnen zum Ende der Erntezeit zu Besuch aus dem Jenseits und feiern gemeinsam mit den Lebenden ein fröhliches Wiedersehen mit Musik, Tanz und gutem Essen. Santa Muerte, die heilige Tödin, wurde um Schutz und Gesundheit gebeten. Der Tod wurde ins Leben eingeladen. Blaue Feder war diese Art mit dem Tod umzugehen gerade sehr nah.

Während sie ihre Wohnung auflösten, musste sie Brauner Bär ins Krankenhaus bringen. Er bekam keine Luft mehr. Schon seit einem Jahr nach ihrer Corona-Erkrankung ging es ihm zusehends schlechter. Zuletzt hatte er gedacht, er hätte eine Bronchitis. Blaue Feder hatte Angst um ihn und bestand darauf, dass er zum Arzt ging. Dieser stellte fest, dass er über einen Liter Flüssigkeit in der Lunge hatte. Kein Wunder, dass er keine Luft mehr bekam. Trotzdem wollte er den Umzug zuerst beenden und dann erst ins Krankenhaus gehen. Blaue Feder ließ alles stehen und liegen. Sie merkte sie musste nun handeln. Ein Rotkehlchen riet ihr, auf ihr Herz zu hören.

Zum Glück war der Arzt, ein alter Freund, geistesgegenwärtig und rief den Oberarzt im Westküstenklinikum an, der dann dann wiederum Brauner Bär anrief und ihm zu verstehen gab, dass er wohl in seinem Zustand wenig beim Umzug helfen konnte. Er möge so schnell, wie möglich ins Krankenhaus kommen. Ihr müsst wissen, Brauner Bär war Stier vom Sternzeichen und ziemlich stur. Vor allem fühlte er sich immer für alles verantwortlich. Als sie im Krankenhaus ankamen, schaffte er fast den Weg in die Notaufnahme nicht mehr. Dort wurde er zum Glück schon erwartet und gleich punktiert, damit er wieder Luft bekam. Nach einer Nacht in der Notaufnahme war er am nächsten Morgen sehr demütig.

Blaue Feder war dankbar, dass die weißen Engel ihm helfen konnten. Sie rissen sich den Arsch auf, besonders in der Notaufnahme, um den Menschen ihr Leben zu retten. Sie hatte sich schon allein auf dem Hof gesehen. Nun musste Brauner Bär für einige Untersuchungen im Krankenhaus bleiben. Die Lunge war in Ordnung, aber eine Herzklappe war wohl verengt. Sie saßen nun jeden Tag im Krankenhaus und spielten ihre Spiele-Sammlung durch. Im Krankenhaus gab es nur ein Dithmarschen-Spiel, dass wohl mehr eine Werbekampagne aller ansässigen Firmen war. Scrabbel fanden sie anstrengend, aber Malefiz machte Spaß. Blaue Feder kannte sich mittlerweile gut in Dithmarschen aus, vielleicht sollte sie mal ein schönes Dithmarschen-Spiel erfinden, wo es nicht ums Gewinnen oder Verlieren ging.

Brauner Bär hatte Glück gehabt, gut eingebunden in ein Netzwerk, konnte ihm schnell geholfen werden. Ihm war sein Freundeskreis auch immer wichtig.

Dieser Vorfall machte Blaue Feder noch einmal deutlich, wie kostbar dieses Leben war. Im Angesicht des heiligen Todes, wird alles andere nebensächlich. Blaue Feder war dankbar für all ihre Freunde, die ihnen halfen, die Situation zu meistern. Sie war dankbar für den alten Arzt-Freund, der alle Hebel in Gang setzte. Sie war dankbar für die Schwägerin, die mit ihr die Wohnung putzte. Sie war dankbar für ihre beste Freundin, die ihr beistand. Sie war dankbar für den alten Freund und seiner Tochter, die mit dem Wohnmobil kamen und die letzten Sachen aus der Wohnung holten und der Freundin, die die Wohnungsübergabe übernahm. Sie war dankbar für den Freund aus dem Nachbardorf, der mit ihr einkaufen fuhr. Sie war dankbar für alle Freunde, die anpackten, halfen, Brauner Bär im Krankenhaus besuchten oder mit ihm telefonierten oder Nachrichten schickten. Sie war dankbar für ihre Familie in Irland, die für ihn beteten. Sie war dankbar für all die Gespräche und lieben Worte und sie war dankbar für Taiga, die jeden Abend mit ihr kuschelte.

Klar, es gab auch ein paar Enttäuschungen auf diesem Weg, aber das Gefühl versorgt und getragen zu sein überwog. Blaue Feder war dankbar für ihre geistigen Begleiter, die sie immer bei der Stange hielten und ihr zuflüsterten, was grad zu tun war. Für sie war dieses Für- und Miteinander das Gold ihrer Geschichten.

Blaue Feder und Brauner Bär und auch viele ihrer Freunde, waren Macher, denen es nicht so leicht fiel, um Hilfe zu bitten. Brauner Bär merkte, die Sachen liefen auch gut, wenn er mal losließ. Der Hausmeister war voll des Lobes wie schön sie die Wohnung hinterlassen hatten, eben besen-rein. Blaue Feder nutzte die Kraft von Sonne und Mars und wuchs ein Bisschen über sich hinaus.

Auf dem Krankenhausgelände, das nicht sehr einladend war, gab es einen kleinen Ententeich, den sie manchmal Hand in Hand umwanderten. Er erinnerte sie an den Mühlenteich, der das Motto für ihr Jahr vorgegeben hatte. Vielleicht würden sie bald wieder gemeinsam um den Mühlenteich wandern – darauf freuten sie sich.

Sie waren erleichtert, weil nun die Wohnung in der Großen Stadt weg war. Sie hatten etwas Altes hinter sich gelassen. Noch standen viele eingepackte Kartons auf dem Hof rum. Sie würden sich Zeit lassen mit dem Auspacken. Blaue Feder feierte Samhain gerne zum Neumond. Für die Kelten war Samhain ihr Neujahrsfest. Auch Blaue Feder startete zu dieser Zeit meist ihre neue Forschungsreise. Es waren 13 Tage bis zum Neumond. Blaue Feder würde diese Zwischenzeit nutzen, um auch den Hof wieder schön herzurichten, zu schauen, was sie aus den Kartons behalten wollten und was vielleicht auch nicht. Sie hatte sich die Woche freigenommen, als hätte sie es schon geahnt. Sie merkte der Schock hing ihr noch in den Knochen. Sie würde sich am Abend ein Feuer anzünden, ihre Knochen durchschütteln, das Leben und den Tod feiern, ihren Knochen lauschen und den Ahnen.

Doch vorher fuhr sie ins Krankenhaus und gab Brauner Bär eine Revanche im Malefiz. Gestern hatte sie gewonnen. Heute würde er sie vielleicht vom Tisch fegen. Beim Malefiz ging es darum, Blockaden aus dem Weg zu räumen. Die Spiel-Steine wurden dann zum Baumaterial für den eigenen Weg. Blaue Feder und Brauner Bär ging es nicht ums Gewinnen oder Verlieren, sondern um das Miteinander-Sein. Sie wussten nicht, ob noch eine OP auf Brauner Bär zukam. Sie gingen diesen Weg zusammen, Hand in Hand, Schritt für Schritt und waren füreinander da und eine warme Hand war manchmal Gold wert.

– Und wer weiß, vielleicht schnitten sie auch ein paar Löcher in die Bettlaken und tanzten den Knochentanz gemeinsam im Krankenhaus.

6 Kommentare zu „Füreinander und Miteinander

  1. Von ganzem Herzen alles Gute für Euch beiden! Mögen gute Geister und heilsame Energien Euch begleiten!! Aus dem herbstlichen Zauberreich Fischerhude grüßt Dich, liebe Susanne, Sigrid

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    1. Liebe Sigrid,
      hab von Herzen Dank für Deine lieben Wünsche. Ich komme grad aus dem Krankenhaus. Obwohl er heute im Malefiz gewonnen hat, ist seine Stimmung grad im Keller – Krankenhaus-Koller. Ich hoffe, dass er morgen eine Diagnose bekommt und wir dann schauen können, wie es weiter geht.
      Liebe Grüße, Susanne

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