Brüderchen und Schwesterchen

Blaue Feder schlug das Buch auf und schon die einleitenden Worte berührten sie.

In unvordenklicher Zeit – Schrift und Literatur waren noch nicht erfunden, nur Sprache und Gesang gab es, lauschten die Menschen im abendlichen Kreis um das Feuer, das in Taiga und Steppe, in Wüste und Prärie, in Dschungel und Hochwald brannte, den Erzählungen der Sänger.

Sie, die Barden, die ersten Poeten, kündeten vom Herabsteigen der Götter zur Erde und zu den Menschen; erzählten vom Kampf der Titanen, und sangen von Drachen, aber auch von Engeln, Feen und Elfen, von Fluß-und Waldgeistern – von den unsichtbaren Mächten um uns.

Damals wie heute verzauberten sie uns, schlugen sie uns in ihren Bann, ließen Fron, Sorgen und Alltag vergsessen -kraft ihres Genies, das ihnen die Schau in Welten eröffnete, die andere nicht oder nur schwer zugänglich waren.

Paul Uccusic 1994 Wien

Während sie im Garten lag und in die Welt der Naturwesen tauchte, schaute sie auch immer mal um sich herum, welche Wesen sie dort wahrnahm.

Die Schwalben waren wieder da und sie stellte fest, es waren nicht die Spatzen, die sie verjagt hatten, sondern ein Grauschnäpper-Pärchen, das auch wieder auf dem Schwalbenhof nistete. Blaue Feder versuchte zu vermitteln. Die Grauschnäpper fühlten sich provoziert, weil die Schwalben immer so dicht an ihrem Nest vorbeiflogen und sie gerade ihre Küken fütterten. So schlug Blaue Feder den Schwalben vor, ihre Einflugschneise etwas zu verlegen. Wie auch immer, irgendwie schienen sie sich zu arrangieren. Blaue Feder konnte auch nicht ständig überall acht geben.

Es war wie bei Geschwistern, mal lieben sie sich heiß und innig und dann gab es auch mal Ärger und Streit. Max und Taiga waren da auch nicht anders. Mal zofften sie sich und dann lagen sie zusammen aneinander gekuschelt auf einem Stuhl – unverkennbar Bruder und Schwester.

Brüderchen und Schwesterchen‚ war als Kind ihr liebstes Märchen. Wie oft hatte sie die Schallplatte rauf und runtergehört. Blaue Feder und Brauner Bär hatten ein altes Reversi-Spiel aus Kindertagen in einer Truhe gefunden. Seine Schwester hatte etwas im Deckel etwas verewigt.

Sie mussten lachen, als sie den Spruch fanden. Auch sie hatten Reibereien als Kinder, wie Blaue Feder mit ihren Brüdern. Mittlerweile waren sie erwachsen und ein Herz und eine Seele. Blaue Feder dachte, sie wäre eine Meisterin im Reversi-Spielen, aber den Titel musste sie doch an Brauner Bär abgeben. Sie hatte ihm von den Libellen am Schlangensee erzählt und so schlug er vor, einen Ausflug zu den Pracht-Libellen an die Gieselau zu machen.

Sie begrüßten die alte Wurzelbuche und jene riet Blaue Feder mit liebevollem Blick auf Brauner Bär zu schauen. Dankbar zu sein, für das, was sie miteinander hatten. So tauchten sie durch ein Hasel-Tor in das Tal der Gieselau.

Bogenschützen mit weißen Bärten waren im Wald unterwegs, die wohl der Steinzeit entsprungen waren. In der Undinen-Zeit hatte ihr eine Yoga-Übung gut gefallen, die Bogenschützin – die hatte ihr Kraft gegeben.

Der Libellenzauber brauchte nicht viele Worte. Mit der Mondin in den Fischen tauchten Blaue Feder und Brauner Bär in die wundervolle Gieselau.

Blaue Feder war verzaubert von den Wasser-Wesen und den Libellen. Selbst ein Wasser-Mädchen löste sie sich komplett im Wasser auf. Zur Stunde ihrer Geburt hatten viele Sterne mit den Füßen im Wasser gestanden.

Alles in ihr kam ins Fließen, sie wurde selbst zum Wasser. Wasser war Leben und mit dem Wasser zu fließen war Liebe. Irgendwie so…

Blaue Feder nahm war, wie die Libellen verschiedene Aufgaben hatten. Eine Blaue Jungfer war die Hüterin des Ortes. Die Prachtlibellen flossen und spielten mit dem Wasser. Es kam auch noch eine größere Libelle geflogen, die für einen größeren Bereich zuständig war. Alle dienten dem größeren Ganzen. Manchmal hatte sie den Eindruck, die Wassermädchen würden ihr zuwinken. Als sie aus dem Wasser tauchte, sahen sie einen großen schwarzen Vogel über das Tal fliegen. Sie waren beide überzeugt, einen Schwarzstorch gesehen zu haben.

Schon auf dem Weg hatten sie die vielen Storchenküken in den Nestern bewundert. Einen Schwarzstorch hatten sie hier noch nicht gesehen. Blaue Feder hatte den Gedanken, etwas Neues wurde geboren.

Sie zogen weiter durch den Wald. Sie stiegen einen Berg hoch, eine eiszeitliche Endmoräne. Sie hatten das Gefühl, als würden sie auf den Rücken eines Drachen steigen. Die Bäume sangen OM. Der Wald sang OM und sie setzten sich auf eine Bank und sangen mit.

Das freute den Wald-Geist –

und Brüderchen und Schwesterchen spielten friedlich am Fuße der Wurzelbuche.

Warum hatte ihr der Wind dieses Brüderchen und Schwesterchen-Thema herübergeweht? Nun, die Sonne wanderte durch den Zwilling, da waren Themen wie Geschwister, Weggefährten, Freunde und auch das Geschichtenerzählen beheimatet. Im Grunde waren auch alle Wesen auf dieser Erde Brüder und Schwestern waren. Natürlich gab es da mal Zoff. Vermutlich wäre es hilfreich, alle Streithähne würden mit den Füßen in die kalte Gieselau steigen. Dann würden sie vermutlich ins Sein tauchen und nur noch Liebe würde durch sie fließen. Oder wie wäre es mit den Bäumen OM zu singen?

Blaue Feder ging am Abend dem Gedanken des Regentanzes nach. Sie hatte von den Fünf Rhythmen eine CD, die hieß The Wave – die Welle. Da fiel ihr ein, ‚Undine‘ hieß übersetzt auch die Welle. Sie verband sich mit Wasserwesen der Lüfte und fragte, ob nicht ein bisschen Regen möglich wäre. Es kam zu einem Deal, wenn sie jeden Tag eine Woche lang eine halbe Stunde tanzen würde, dann würden sie es sich überlegen.

Sie schaffte es nicht jeden Tag zu tanzen. Das war wohl auch eher ein Trick ihrer Seele, sie wieder mehr in Bewegung zu bekommen. Blaue Feder hatte den Eindruck, es ging den Naturwesen nicht um Leistung. Sie hatten mehr das Sein im Sinn. Es gefiel ihnen, wenn sie in ihrer Nähe meditierte. So saß Blaue Feder momentan viel in Stille bei der alten Holler im Garten. Sie trug in diesem Jahr erstaunlich viele Blüten, war sie eigentlich schon halb abgestorben. Blaue Feder lauschte ihrer Weisheit und trank ab und an einen Tee ihrer Blüten.

Sie nahm sich ein Beispiel an den Bäumen. So saß sie auch inmitten der Großen Stadt am Morgen an der Alster und meditierte, bevor sie zum Brot-Job fuhr. Der Lärm war morgens schon enorm und doch tauchte sie in die Stille in ihrem Herzen. Überall wo sie war, versuchte sie in das Sein zu tauchen und sie hatte den Eindruck es veränderte etwas in ihr.

Vielleicht wollte ihre Seele sie auch einfach nur daran erinnern, dass ihr Bruder in Irland heute seinen 70. Geburtstag feierte. Sie suchte ein paar gemeinsame Erinnerungen heraus und bastelte ihm ein kleines Video und war erstaunt, wieviel Zeit schon ihren gemeinsamen Fluss hinuntergeflossen war.

Blaue Feder war glücklich, dass ihre Beziehung die Stürme des Lebens überdauert hatte. Sie hatte noch zwei ältere Brüder, zu denen sie in dieser Welt keinen Kontakt mehr hatte. Im Traum nahm sie beide in den Arm, denn sie liebte sie ebenso und im Herzen waren sie immer bei ihr.

Ihre Geschichte erinnerte sie daran, ihr Leben mit allen Sinnen zu genießen. So konnte es gut sein, und sie gönnte sich und ihrem Blog eine kleine Sommer-Pause.

Die dunkle Luna kündigt sich langsam an und wir tauchen in die Sommersonnen-Wende-Zeit, die Hoch-Zeit des Jahres. Es gab wohl momentan nichts weiter zu tun, als mit dem Leben zu fließen und es zu feiern.

Während sie schrieb, zogen sich die Wolken zu und es fing an zu regnen, ganz sanft und die Regentropfen berührten ihr Herz.

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