Im Falkengewand

An einem Morgen noch vor dem Frühling öffnete Blaue Feder die Vorhänge und wieder lachte sie die Venus an. Vielleicht wartete sie jeden Morgen auf sie? Der Sturm machte mal eine kleine Verschnaufpause, eine zum tief Durchatmen. Er ging ihr manchmal auf den Geist. Der Himmel war klar und im Augenwinkel sah sie noch zwei Rehe den Weg an ihrem Fenster vorbeilaufen. Blaue Feder zog sich schnell etwas Warmes an und folgte ihnen in die Morgendämmerung. Nun war sie im Nord-Osten des Jahreskreis angelangt, hatte das Fest der Brigid, der Birkengöttin still für sich gefeiert. Noch hatte sie den Eindruck, sie ließ mehr Altes gehen, als das sie wusste, wohin der Weg sie führte. Mit dem Sturm wehte sie es mal hierhin und mal dorthin. Eine Amsel begrüßte sie im Knick am Lindenhof.

Heute wehte es sie auf ihren kleinen Rundelsweg. Sie hatte noch ein paar Körner für die Fasane eingesteckt. Der Morgen fing an zu dämmern und spiegelte sich im Schlangensee, auf dem ein paar Gänsesäger dösten. Ein Gänsesäger kam näher herangeschwommen und flüsterte:

‚Sei offen für das Neue!‘

Sie hörte einen Falken rufen und es erinnerte sie an den Turmfalken in ihrem Garten. Es zog sie in den Birkenwald. Sie lauschte in die Stille. Sie spürte wie das Birkenwasser in ihrem Körper langsam nach oben sprudelte. Es belebte sie, lud sie ein zu einem kleinen Tanz – Leichtigkeit umfing sie und sie atmete tief die frische Luft ein.

Sie hatte dem Alten Vater ein schönes Buch gezaubert mit der Geschichte vom ‚Birkenmädchen‚ und ihr war klar geworden, dass sie mit einfachen Mitteln schöne Bilder weben konnte – auch gefiel ihr das neue breite Format.

Langsam ging die Sonne auf, sie sah Gänse am Himmel fliegen, einen Kormoran seine Kreise ziehen und immer wieder hörte sie den Ruf des Falken. Sie ging weiter zum kleinen wilden Wald. Die Bank dort stand im Licht der aufgehenden Sonne und lud sie ein, zu einer Pause.

Sie schloß die Augen und fing an zu träumen. Der Turmfalke kam blitzschnell zu ihr heruntergeflogen und schaute sie aus seinen schwarzen Augen an. Er legte ihr ein Federgewand um und nahm sie mit auf eine Reise. Sie flog mit ihm in die Morgendämmerung. Sie flogen zusammen über ‚ihr‘ Land. Die Venus wies ihnen den Weg, sie flogen über Seen und Wälder. Als sie das Land von oben betrachtete, wurde ihr klar, dass sie in den vergangenen Jahren die Geschichten ihres Seelenlandes aufgeschrieben hatte, wie es der Seerosenkarpfen ihr vorgeschlagen hatte.

Als sie begonnen hatte zu schreiben, hatte sie sich die Frage gestellt, was sie nährte oder heilte. Sie hatte nur eine Antwort darauf gefunden – die Natur.

So war sie regelmäßig allein in die Natur gegangen. Mit allen Sinnen war sie eingetaucht in das, was sie umgab und hatte erkannt, wie einzigartig und beseelt alle Wesen der Schöpfung waren – wie sie untereinander in Beziehung standen und mit ihr. Sie hatte angefangen mit den Pflanzen, Tieren und den Steinen zu sprechen, sie als Schwestern und Brüder im Land ihrer Mutterseele zu betrachten. Sie redete mit den Wesen, gab ihnen ihre Liebe und lauschte ihren Botschaften. Sie tanzte mit den Elementen und fand heraus, welche Wesen ihr seelenverwandt waren. Sie hatte den Plätzen Namen gegeben und ihre Kraft gespürt. Sie hatte dem Land gelauscht, den Quellen, den Flüssen, den kleinen Bergen, den Seen, den Vögeln, den Tieren, den Kräutern, den Blumen und den Bäumen. Sie war in das Netz des Lebens getaucht und hatte hier und dort Zusammenhänge erfahren und sich nach und nach – mehr und mehr eingebunden gefühlt. Sie hatte sich ihrem Ort geöffnet und er sprach mit ihr auf eine Weise, die sie verstand und berührte.

Es war alles da!

Sie würde weiter in die Natur gehen und noch tiefer tauchen. Doch machte sie hier jetzt erst einmal eine Pause. Das Land hatte ihr viele schöne Geschichten geschenkt, die sie nun gerne – nach und nach und ganz in Ruhe in eine schöne Form gießen wollte.

Der Falke flog weiter mit ihr ans Meer. Die Sonne schien warm und sie saß am Strand. Sie sah zwei Wale und Delphine sprangen spielend leicht synchron aus dem Wasser. Am Strand lief ein Lama und ihm folgte eine weiße Ziege.

Lausche den Walen,

spiele mit den Delphinen,

gehe Schritt für Schritt mit dem Lama

und trinke die Milch der Ziege.

Die Bilder von den Walen und Delphinen waren ihr vertraut. Das Lama war lustig anders. Der Begriff Lama erinnerte sie auch an die tibetischen Lamas, die spirituellen Lehrer und Lehrerinnen. Es erinnerte sie daran, dass wir alle auf unserem Weg von Lernenden zu Lehrenden werden. Wenn wir unsere Geschichte durchleuchtet haben, dann wissen wir, welchen Schatz wir mit auf den Weg bekommen haben und könnne diesen Schatz mit anderen teilen. Von der weißen Ziege hatte sie einst geträumt und sie hinter ihrem Haus angebunden. (Hihi, den Traum mit der Ziege hatte sie genau vor einem Jahr!) Mit der Zeit würde sie die Sätze wohl verstehen.

Es ging ihr gut am Strand und sie tankte auf. Es lagen dort tatsächlich ein paar Schätze in Gold und Silber herum. Blaue Feder fand ein einfaches weißes Leinengewand und darin waren Perlmutknöpfe eingewickelt. Sie leuchteten weiß und in allen Regenbogenfarben. Sie zog das weiße Kleid an und nahm die Perlmutknöpfe mit. Jeder Knopf war ein Kuß, so wie jede ihrer Geschichten ein kleiner Same war, auf ihrem Weg.

Zusammen flogen sie zurück und der Falke schaute Blaue Feder noch einmal tief in die Augen.

Fokussiere Dich auf das Wesentliche!

Blaue Feder sah viele Dinge mit dem Wind davonfliegen. Dann sah sie wieder die Flamme in ihrem Herzen und sie saß einfach da und ihr Atem floß in die Flamme.

Gib der Flamme Luft zum Atmen!

Sie hatte den Eindruck, es war grad wichtig, sich selbst Luft zum Atmen zu geben und sich nicht wieder vollzuballern mit zu vielen Aktivitäten, trotz aufkommender Frühlingsgefühle. Immer wieder fragte sie, was sie tun konnte, anstatt einfach nur dem Wunder beizuwohnen, wie es sich entfaltete.

Und es würde sich entfalten!

So saß sie einfach da und gab ihrer Flamme Luft zum Atmen und so breitete sich das Feuer in ihrem Herzen aus und erleuchtete den Raum.

Dann verabschiedete sich der Falke und Blaue Feder bedankte sich bei ihr.

Sie brachte den Fasanen noch die Körner und schlenderte den Weg der Ziege zurück. In einem Abwassergraben plätscherte das Wasser aus einem Rohr und sie dachte an die Ziege und ihre Milch.

Sie kam noch einmal an dem Schlangensee vorbei, die Sonne spiegelte sich bereits im Wasser und sie sah noch einmal den Gänsesäger im Licht der Morgensonne. Sie lächelte ihm zu.

Sie ging heim und auf dem Heimweg sah sie die ersten Schneeglöckchen tanzen. Bevor sie anfing mit dem Layout für ihre Geschichten, würde sie wohl noch einmal ans Meer fahren, eine Internet-Pause einlegen, ihre Frühlingsputzwinterpfundeentschlackungskur beginnen und die Seele baumeln lassen.

Der Turmfalke kam so oft nicht in ihren Garten. Vor ein paar Jahren war das Schwarzauge schon einmal dagewesen. Blaue Feder hatte angefangen ein Bild zu weben und es dann beiseite gelegt.

Sie holte sich den kleinen Teppich aus ihrem Atelier und webte ihn weiter. Sie spürte dem Erlebten nach. Besonders das Lama machte ihr gute Laune. Seine Medizin war wohl neu. Dann hängte sie sich den Turmfalken mit einer Feder, die sie einst gefunden hatte, als Erinnerung in ihr Zimmer.

Sie erinnerte sich an die Göttin im Federkleid. Sie erinnerte sich an Freya, die von Schweinen, Katzen und vom Falken begleitet wurde. In Ägypten stand der Falke in Verbindung mit dem Horus-Kind, der Sonne und Mond in sich vereinigte und seiner Großen Mutter, der Göttin Isis.

Vielleicht tat es ihr gut, ab und an mit dem Falken ein wenig Abstand zu nehmen, um zu sehen, was sie schon alles getan hatte, um zu sehen, es war alles schon da!

Grad bestaunte sie mit Taiga das Wunder, wie die Pömpel ihre Fensterbank in Rauchwölkchen gehüllt hatten – welch eine Fülle an Samen.

Die Sonne ging auf – Blaue Feder lauschte – es war still – der Sturm hatte sich gelegt.

Nun wusste sie, woran sie die Pömpel erinnerten, an Spindeln. Hier auf ihrer Fensterbank machten die Samen wenig Sinn – so brachte sie ihre Wolle an den Schlangensee. Während ein Mann mit seiner Kettensäge, der sie irgendwie an den Gänsesäger erinnerte, auf der einen Seite des Sees den Knick runterschnitt, ließ eine Frau auf der anderen Seite des Sees, neue Samen fliegen, bis sie selbst aussah wie ein Pömpel und ein Falke schaute ihrem Treiben zu.

Blaue Feder träumte davon, wie sich der Mann und die Frau die Hände reichten und ihr ging das Wort ‚Gleichgewicht‚ nach. Sie kannte den Mann und lächelte ihm zu – ein Anfang war gemacht!

Sie träumte auch davon, was sie dieses Jahr in ihrem Garten säen und anbauen wollte.

Es war wirklich ein Wunder, was aus einem kleinen Samen oder einer kleinen Idee alles entstehen kann.

4 Kommentare zu „Im Falkengewand

  1. „Noch hatte sie den Eindruck, sie ließ mehr Altes gehen, als das sie wusste, wohin der Weg ging..“. Genauso fühlt sich die Zeitqualität für mich gerade auch an. Alles Gute und herzlichen Dank für das Mitnehmen auf die Reise.

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