Eine Annäherung an den kriechenden Günsel

Grad blühte die Wiese so schön, wenn der Tiger durch das Gras schlich. Doch hatte Brauner Bär angekündigt, er wolle sie mal wieder mähen. So war ihre Verabredung, er sagte ihr vorher Bescheid, damit Blaue Feder noch ein paar Kräuter runtersammeln konnte, bevor alle im Rasenmäher verschwanden.

Der Mai ging nun langsam auf sein Ende. Er war recht kühl gewesen und brachte viel Regen mit sich. Die Natur freute es und die Menschen wohl etwas weniger. Die Blumenmondin hatte es mit der Mondfinsterniss wohl ziemlich ernst genommen, jedenfalls hatte Blaue Feder die volle Mondin nicht einmal zu Gesicht bekommen.

Schon seit ein paar Tagen8 lachte sie der kriechende Günsel an. Aufrecht stand er da, mit lila-blauen Blüten. Blauer Kuckuck wurde er genannt, weil auch er anfängt zu blühen, wenn der Kuckuck ruft. Auch Blauer Kirchturm wird er genannt, weil er wie ein kleiner Turm in der Wiese steht. Blaue Feder hatte in ihren Büchern nichts über den kriechenden Günsel gefunden. Er wurde wohl nicht oft angewandt und war sozusagen ein weißer Fleck auf der Landkarte der vielfältigen Lippenblütler. Sich dem Günsel anzunähern, schaute sie sich gerne die Namen an, die einer Pflanze gegeben wurden. Kriechender Günsel wurde er wohl genannt, weil seine Ausläufer von dem im Frühjahr treibenden Wurzelrhizom über den Boden kriechen. Seine Blätter sind leicht gewellt und ab Mai wächst der Stängel des kriechenden Günsel in die Höhe und wird zu den aufrechten Blütenständen, die sie jetzt sah.

Er wird auch Apfelblatt, Guglkraut, Heilkräutlein, Bilibluama, Bimu, Blawellen, güldener Günsel, Guntzel, Gutzegagel, Meyblume, Wiesenkräutlein, Wisskrut, Wundkrut und Zapfenkraut genannt.

Das Wundkraut sprach sie an und sein aufrechtes Wesen. Vielleicht konnte er sie innerlich aufrichten. Sie hatte die Tage ein neues Hochbeet angelegt im Garten und den ganzen alten Kompost darin verarbeitet. Nun spürte sie jeden Muskel und jeden Knochen. Doch die Erbsen und Bohnen waren ausgesät und noch ein paar Blüten zum Naschen.

Sich dem Günsel anzunähern, machte sie sich erst einmal einen Tee. Er roch und schmeckte bitter. Das war immer ein Zeichen, dass er entsäuernd war und das war bestimmt gut für den Magen und für den Muskelkater.

Nach den ersten Schlucken musste sie sich räuspern. Das war erst etwas unangenehm. Er hatte scheinbar eine Wirkung auf den Hals. Blaue Feder hatte das Gefühl, ihr saß ein Frosch oder ein Kröte im Hals. Den oder die zog der Günsel mit der Zeit heraus.

Sie hatte sich für einen Geschichtenerzähl-Kurs angemeldet. Das stand ihr nun bevor. Das freie Sprechen war so garnicht ihres. Sie hatte schon die ersten Übungen bekommen und auch die ersten Widerstände meldeten sich. Das war dann wohl der Frosch im Hals. Vielleicht konnte ihr der kriechende Günsel helfen?

Sie hatte sich eine Tasse Tee mit ins Bett genommen und nach der ersten Tasse, die sie schluckweise trank, fielen ihr die Augen zu und sie schlief erst einmal eine Runde. Er scheint also auch eine sehr entspannende Wirkung zu haben. Entspannt an die Sache ranzugehen, war wohl ein guter Weg. Wenn so viel Günsel auf ihrer Wiese wuchs, konnte vielleicht ein Bad nicht schaden. Ihren schmerzenden Knochen, würde ein Bad sicherlich auch gut tun. So setzte sie sich einen Topf mit Günsel auf.

Sie tauchte in das grüne Nass. Allein das warme Wasser tat ihren Knochen schon gut. Als sie Augen schloss fand sie sich im Auenwald wieder. Alles um sie herum war Grün. Dort stand auch der kriechende Günsel zuhauf und die Hummeln summten darin.

Sie ging noch einmal den Flusslauf der Westerau entlang und kam zu ihrem Platz. Eine Schnecke war den Baumstamm hochgekrochen und schlug ihr vor, es langsam anzugehen. Brauner Bär brachte ihr zeitgleich ein leeres Schneckenhaus wie zur Erinnerung. Sie setzte sich auf ihren Thron. Heute hörte sie viele Gartenrotschwänze mit ihrem auffälligen Gequeese. Ihr Gartenrotschwanz auf dem Schwalbenhof war ja leider nicht wiedergekommen.

Blaue Feder ging auch zu ihrer ‚Flatterulme‘. Sie hatte ein Foto gemacht von den aufkeimenden Blättern. Es machte den Eindruck, als wäre ihre Flatterulme wohl eher eine Eiche; vielleicht eine Stieleiche? Sie sah wieder die Kleiber, die nun ihre Jungen fütterten. Sie stellte sich an den Baum und er sagte zu ihr.

‚Gehe den Weg des Jupiters und folge dem Stern der Freude.

Daran erinnerte sie sich, als sie hier im grünen Günselwasser lag. Auch hatte ihr der Wald ein Horn geschenkt von einem Rehbock. Das Horn wollte sie noch auf einen ihrer Wanderstöcke anbringen.

Das warme Bad hatte ihr gut getan und sie setzte sich ein Weile ins Bett und las. Sie las gerade den Kuss des Einhorn von Tracy Chevallier über die Entstehung der Einhorn-Teppiche.

-Jetzt hüpfte schon zum dritten Mal ein Hase vor Blaue Feders Fenster die Straße entlang. Ob sie ihm wie Alice in ein neues Abenteuer folgen wollte? Nun kam er sogar in ihren Garten und es war ihr, als würde er ihr sagen:

‚Sei kein Hasenfuß‘

Blaue Feder wusste wohl, was gemeint war. Sie würde sich gleich mal ihren ersten Übungen zum freien Sprechen widmen. Sie sollte mit geschlossenen Augen einer Geschichte lauschen, sich ihre inneren Bilder anschauen und dann einer Person ihres Vertrauen diese Geschichte nacherzählen.

Wir alle haben wohl so unsere Probleme mit dem einen oder anderen. Jeder Mensch hat seine oder ihre Herausforderungen zu meistern. Was hast Du gerade zu meistern? Auf Blaue Feder wartete ein Brauner Bär, der eine Geschichte zum Frühstück erzählt bekommen möchte. Vielleicht konnte sie sich vorstellen wie der Blaue Günsel sie innerlich aufrichtete, bevor sie anfing zu erzählen.

Also, auf zu neuen Abenteuern…

Wen das Geschichtenerzählen interessiert, kann hier bei Annika schauen:

http://www.annikahofmann.de/

3 Kommentare zu „Eine Annäherung an den kriechenden Günsel

    1. Danke, liebe Pega, für’s Vorbeischauen. Wir waren heute wieder im Riesewohld und haben auch den Kriechenden Günsel an einer Quelle wiedergefunden. Er hat mir wohl echt geholfen. Es ging schon ganz gut mit dem freien Erzählen. Das Visualisieren ist wohl der Schlüssel. Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend, Susanne

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