Vom blinden Maulwurf

Manchmal wollte etwas anderes erzählt werden, als Blaue Feder es sich vorgestellt hatte. Sie tauchte immer tiefer in den Ringzauber und hatte den Eindruck, als würden sich Puzzle-Teile langsam zu einem Bild zusammenfügen.

Blaue Feder hatte gerade Besuch auf dem Schwalbenhof von ihrem Schwager und seiner Tochter. Die junge Frau hatte ihre Abschlussprüfungen als Ärtztin am Westküstenklinikum. Clara war selbst mit einem Handicap oder anders gesagt, mit einer besonderen Fähigkeit, als Kind schwerhörig geboren. Nun stand hier eine selbstbewusste junge Frau vor ihr, die ihre eigenen Vorstellungen von ihrer Berufung hatte. Am gestrigen Abend kam sie völlig erschöpft heim, war aber zufrieden mit sich und hatte ein gutes Gefühl.

In einem Gespräch hatte Blaue Feder gesagt, sie wäre froh, dass sie solche Prüfungen nicht mehr machen müsste und doch kamen ihr das vergangene Jahr, wie auch die Jahre zuvor, wie eine einzige Prüfung vor. Sie war auch erschöpft und sie konnte nicht so klar, wie Clara sagen, ob sie zufrieden mit sich war. Sie versuchte so gut es ihr möglich im Einklang mit Mutter Erde zu leben, auf ihr Herz zu hören und manchmal kam sie, wie wohl viele andere auch, an ihre Grenzen.

Es war ein paar Tage her, es war der zweite Advent, da schauten Taiga und sie aus dem Fenster. Taiga ließ sich die warme Heizungsluft um den Bauch streicheln. Draußen turnten die Eichhörnchen in der Walnuss herum und schauten, ob Blaue Feder noch ein paar Nüsse rausgelegt hatte.

Sie zog sich an und brachte den Tieren ihr Futter. Dann gagelte sie ohne Plan los. Gleich ums Eck machte ein großer Maulwurfshügel auf sich aufmerksam. Die Maulwürfe waren auch in ihrem Garten recht aktiv. Brauner Bär fand das nicht so toll und für Blaue Feder gehörte es dazu.

Auf der Allee konnte sie hinter Wattewolken die Sonne wahrnehmen. Lauter Adventspärchen waren unterwegs und sie ging mal wieder allein. Brauner Bär hatte eine anstrengende Woche und puzzelte lieber alleine vor sich hin.

Im Wäldchen fand sie ein großes A-Hornblatt – Tief-Rot von der einen Seite und Dunkel-Grün von der anderen.

Schon stand sie vor dem nächsten Maulwurfshügel.

Ihr fiel eine kleine Indianergeschichte ein, die sie gerade in dem Buch ‚Der Flug des Raben‘ von Richard Wagamese gelesen hatte.

Da gab es ein jungen Mann, der sich die Mitbewohner seines Dorfes anschaute und feststellte, er liebte sie alle so, wie sie waren. Er wollte gerne ein großer Krieger werden, damit er sein Volk beschützen konnte. So ging er zu der Alten des Dorfes und sagte zu Ihr :

„Ich möchte der größte Krieger für mein Volk werden, der ich nur sein kann. Und dafür brauche ich die Medizin des am meisten respektierten Tieres im Tierreich. Wenn ich die haben kann, dann kann ich auch ein großer Krieger sein.“

Die Alte fühlte, der Wunsch des jungen Mann kam von Herzen und darum sagte sie ihm, sie würde ihm die Kraft der Medizin geben, wenn er ihr sagen würde, welcher Bruder oder welche Schwester das Tier war, das den meisten Respekt im ganzen Tierreich bekam.

Der junge Mann war froh, weil das nach einer einfachen Frage klang. Also antworte er, es sei der Grizzlybär, weil er so wild, stark und furchtlos war.

Aber die Alte schüttelte traurig den Kopf, denn es war nicht der Bruder Bär, es gab ein anderes Tier.

Dann nannte der junde Mann ein furchtloses, starkes, großes, wildes Tier nach dem anderen, aber die Alte schüttelte immer wieder den Kopf.

Nach langer Zeit ließ der junge Mann den Kopf hängen. Er wusste nicht, welches Tier es sein sollte und er fürchete, er könne nun kein großer Krieger werden.

Die Alte nahm seine Hand, schaute ihm in die Augen und sagte:

„Weil Dein Herz so rein ist, werde ich dir den Namen nennen und dir die große Kraft der Medizin schenken, weil ich weiß, du wirst sie gut verwenden. Das Tier, das von all seinen Brüdern und Schwestern im Tierreich den meisten Respekt bekommt, ist … der Maulwurf. Der winzig kleine blinde Maulwurf, der unter der Erde lebt, ist der größte Krieger im Tierreich.“

Der junge Mann traute seinen Ohren nicht. Wie konnte denn der Maulwurf, der nicht einmal sehen konnte, der größte Krieger sein?

Die Alte lächelte. Alte lächeln immer, wenn sie dir eine Lehre erteilen wollen, das ist auch heute noch so.

Und so erzählte die Alte dem jungen Mann, der Maulwuf bekäme den meisten Respekt, weil er immer in Kontakt mit Mutter Erde lebt. Sein ganzes Leben bleibt er immer mit ihr in Berührung. So wird er klug. Er wird so klug, dass er trotz seiner schlechten Augen auf andere Weise sehen kann – mit dem Geist und er nimmt sich immer Zeit genau zu lauschen, was er fühlt und wahrnimmt.

Der junge Mann ging weg, um darüber nachzudenken. Er dachte sehr lange darüber nach und wurde ein großer Krieger, der von allen Menschen wegen seiner Freundlichkeit, Fairness und Sanftheit ebenso respektiert wurde wie wegen seiner Stärke, seiner Kampfkraft und Tapferkeit. Der Krieger nahm sich immer Zeit herauszufinden, was er fühlte, bevor er etwas unternahm.‘

Und so folgte nun Blaue Feder den Maulwürfen, die so nah am Herzschlag von Mutter Erde wohnten.

Der Weg führte sie zur alten Holler und die Alte lächelte sie an. Sie musste nichts sagen. Allein ihr Anblick ließ Blaue Feder fühlen, was sie gerade nicht fühlen wollte. Die Alte sah immer, was mit ihr los war, ohne es zu verurteilen. Sie schenkte ihr ein paar Vital-Pilze. Blaue Feder las gerade ein Buch von einer Tierheilpraktikerin, wie sie Tiere mit Kräutern unterstützen konnte. Darin war auch der Mu-Err Pilz beschrieben. Sie hatte die Pilze immer in ihre Suppe getan, aber sie konnten ihre Wirkkraft wohl besser getrocknet entfalten. Blaue Feder bedankte sich.

Die Maulwurfshügel führten sie weiter zum Spindelbäumchen. Was hatte sie sich Sorgen gemacht, um das Spindelbäumchen und nun sah sie, wie es im Dezember immer noch grüne Blätter trug und seine Blüten leuchteten sie an. Sie fragte das Spindelbäumchen, warum es noch blühe.

‚Ich spinne Tag und Nacht‘, war seine Antwort

Blaue Feder fragte, woher es die Kraft dafür nahm.

‚Tief aus den Wurzeln aus dem Herzen von Mutter Erde.‘

Mittlerweile war die Sonne herausgekommen. Eine Stunde Sonne war vorausgesagt und sie hatte sie erwischt – welch ein Glück. Sie freute sich über das Spindelbäumchen, das auch Pfaffenhütchen genannt wurde und kurz kam ein Dompfaff daher geflogen. Ob es da einen Zusammenhang gab?

Blaue Feder ging weiter. Die Sonne leuchtete durch den kleinen Buchenwald, in dem ein Fasan spazieren ging, der sie in den Wald lockte.

Hier hatten Kinder eine Hütte gebaut. Die Kinder spielten gerne in diesem kleinen Buchenwald. Sie setzte sich am Rande des Waldes auf eine Bank in die Sonne und genoß das warme Licht.

Dann lachten sie die alten Kräuterweiden an, schenkten ihr ein Kraut und mal wieder wusste sie nicht welches.

Die Spuren der Maulwürfe führten sie weiter zur wilden Kirsche, die ihr einen Stecken schenkte. Sie führten sie zum alten Weißdorn, der ihr einen Stecken schenkte und zum wildem Apfelbaum, der ihr auch einen Stecken schenkte. Da fiel ihr ein, es war Barbara-Tag.

Sie kam auch bei einer Stinkmorchel vorbe, musste lachen und der Schäfer brachte seinen Schafen Futter, wie jeden Tag.

Im Dorf begrüßte sie den Weihnachtsbaum.

Blaue Feder sah den Maulwurf nun mit anderen Augeund bewunderte ihn für sein blindes Vertrauen in Mutter Erde. Sie selbst merkte, wie sie auf wundersame Weise immer und immer wieder durch die Natur geführt wurde. Da könnte sie doch auch langsam mal vertrauen, oder? Die Mondin war an jenem Tag in den Stier gewechselt und ein kleiner Stier lachte sie an.

Sie ging heim und nun stehen drei Stecken von der wilden Kirsche, dem Weißdorn und dem wildem Apfel auf ihrer Fensterbank und wer weiß, vielleicht zeigt sich mit der Zeit eine Blüte.

8 Kommentare zu „Vom blinden Maulwurf

  1. Verehrte liebe Blaue Feder, die Maulwurfsge-schichte hat mich sehr berührt. Es geht mir ähnlich … es ist eine tägliche Übung der Göttin meines Herzens zu lauschen, zu atmen (mein Anker) und nicht in alte Muster und Programme zu fallen. Herzensdank für Deine Worte und eine gesegnete Wintersonnen-wendzeit, Iris

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