Der Zauberbaum

Da stand sie nun in ihrem Garten, die Weidenfrau. Sie sah ein bisschen aus, als käme sie von einem anderen Planeten. Sie war noch nicht ganz fertig. Blaue Feder hatte nicht genug Weidenruten gehabt. Erst hatte sie überlegt eine ganz kleine Weidenfrau zu flechten. Doch waren die Weide nicht biegsam genug für kleine Arbeiten.

So schaute sich Blaue Feder die Zweige an, die sie die Tage eingessammelt hatte. Da gab es feste lange Stecken und kürzere Dünne schon mit Ansätzen von Kätzchen. Blaue Feder hatte keine Ahnung wie man eine Weidenfrau flechtet. Sie suchte sich einen Schemel in der Scheune und fand dabei zwei geflochteten Rehböcke ganz eingestaubt in einer Ecke liegen. Die waren wohl noch von der Alten Mutter. Sie holte sie hervor, entstaubte sie etwas und ließ sich von ihrem Geflecht inspirieren.

Aus der Gartenkammer holte sie sich ein Gerät zum Löcherstechen und bohrte Löcher in einem Kreis. Vorne ließ sie eine Öffnung frei. Die Amsel staunte, was da vor sich ging. Dahinein steckte sie langen festen Stecken wie zu einem Weidenhaus. Als sie so am Werkeln war, kamen ihr die Tibetischen Stupas in den Sinn. Sie band die Stecken mit einem Faden zusammen. Die Enden, die oben rausstanden, formte sie zu einer Kugel für den Torso. Nun webte sie Querstreben in den Rock der Weidenfrau. So machte sie es auch mit den Torso. Für den Kopf sah sie sich ein Video auf Youtube an, wie man eine Kugel formt.

Na, eine Kugel wurde es nicht, aber ein Kopf ist ja auch nicht kugelrund. Als die Volle Mondin am Himmel erschien bekam ihre Weidenfrau den Kopf aufgesetzt. Es fehlten noch die Arme und Blaue Feder hatte die Vorstellung, dass sie eine Schüssel in den Händen hielt. Nun musste sie die nächsten Tag erst einmal mit dem Fahrrad rumfahren und schauen, wo noch Weiden abgeschnitten lagen. Blaue Feder nahm nur die Ruten von gefällten Weiden. Sie hatte schon ein schlechtes Gewissen, als sie mit ihren Bündeln aus dem Moor kam. Hätte jemand gefragt, hätte sie gesagt, sie hätte nur aufgesammelt, was vom Rückschnitt liegen geblieben war.

Die Katzen hatten ihr beim Flechten fleißig geholfen und auch Paula, das Huhn hatte mal vorbeigeschaut, was sie da so trieb. Das Rotkehlchen inspizierte die neuen Gartenbewohnerin und auch der Zankönig hatte sich das Ding schon mal angeschaut. Mit der Weidenfrau waren auch die Stieglitze in den Garten zurückgekehrt. Sie hatten sich lange nicht blicken lassen. Auch die Meisen begrüßten die Weidenfrau.

Nun stand erst einmal der Frühlingsputz auf ihrem Plan. Wenn die Sonne so schön scheint, sah sie den Staub umso mehr. Also flocht sie sich einen neuen Birkenreisigbesen und nahm sich Raum für Raum vor. Sie räumte auch in ihrem Zimmer das Bücherregal auf und fand dabei ein Tüte mit Erinnerungen aus dem Tal der Sprudelnden Quellen. Darin fand sie eine kleine Geschichte auf ein Papier gekritzelt.

Als sie die Geschichte las, musste sie schmunzeln. Sie handelte von einer Weide. Sie fand auch noch das Bild dazu, das sie einst im Kreise von ein paar lieben Frauen gemalt hatte. Sie hatten sich gegenseitig vorgestellt, in dem sie einen Baum malten.

Der Zauberbaum

Es war einmal ein Baum, eine Salix oder Weide – vielleicht.

Sie stand so gern am Wasser und ihre Blätter spiegelten das Licht der Sonne in allen Farben.

Ihre Zweige spielten mit dem Wind und trugen viele Geschichten.

Ihre Zweige waren wie 1000 Arme, in denen Du Schutz und Geborgenheit findest.

Ihre Wurzeln reichten tief und waren verbunden mit den Schätzen von Mutter Erde.

Lehne Dich an ihren knorrigen Stamm und lausche.

Dann erzählt sie Dir eine Geschichte.

Wenn keiner kommt, dann schweigt sie Stille.

Hoch oben in ihren Zweigen, da sitzt ein alter schwarzer Vogel.

Manche denken, er sei blind.

Doch in seinem Herzen ist er wild und keck und er gibt Dir einen Rat.

Halte Dich nicht immer an die Regeln, sonst verpasst Du eine Menge Spaß.

Folge dem Stern der Freude.

Eine Sternenfee begleitet die Salix.

Sterne führen Dich in in der Nacht.

Wenn es dunkel wird, kannst Du in der Nähe der Salix einen fliegenden Wal sehen.

Vielleicht wunderst Du Dich, das Wale fliegen können?

Ein Wal mit langen Barthaaren ist ein wunderbarer Seelenführer.

Er führt Dich sicher, wenn die Schatten Wellen schlagen.

Die Salix liebt die Nähe der Gänse und die Gänse lieben die Nähe der Salix.

Sie sind wie Schwestern und Brüder auf diesem langen Weg nach Hause.

Gerne schaut sie ihrem Flug zu und lauscht Ihren Geschichten aus fremden Ländern.

Wenn Du eine Salix siehst, setze Dich zu ihr und schließe die Augen.

Öffne Deine Hände.

Schau, was sie Dir in die Hände legt.

Vielleicht findest Du ein buntes Blatt in Deinen Händen.

Was immer es ist, es ist ein Spiegel – ein Spiegel Deiner Sebst

Schau hinein.

‚Folge dem Stern der Freude.‘

Mit diesem Satz war Blaue Feder am Morgen erwacht. Sie war mit einem wilden Menschenzug durch eine Wohnung gefegt. Sie hatte alles mit ihrem Stock berührt wie mit einem Taktstock und getanzt. Mal hatte sie die Gruppe angeführt und mal ein anderer. Sie hatte den Dingen Leben eingehaucht. Sie war ganz außer Atem, das Leben pulsierte in ihr und Freude war in ihrem Herzen.

Blaue Feder würde wohl mit ihrem Frühjahrsputz fortfahren. Es wäre fein, einen Zauberstab zu haben, mit dem sie alles blitzeblank zaubern könnte. Auf einem Hof, gab es doch recht viel zu putzen. ‚Hex, hex!‘ und alles würde glänzen. Sie würde sich einfach Zeit lassen.

Die Geschichte brachte ihr die Erinnerungen an das Tal der Sprudelnden Quellen zurück. Damals war sie auch mit den Bäumen gewandelt. Wer weiß, vielleicht erzählt sie mal die eine oder andere Geschichte aus dem ‚Tal der sprudelnden Quellen‘, wenn es ihr Freude bereitet.

-Heute folgte sie dem ‚Stern der Freude‘ oder war es Ruf des Meeres? Vielleicht würde sie den Wal heute im Meer schwimmen sehen, wer weiß!

7 Kommentare zu „Der Zauberbaum

  1. Liebe Susanne,
    deine Weidenfrau ist ein Augenstern der Freude! Kraftvoll strahlt sie – und deine Erzählung zu dem wunderbaren Gemälde des Zauberbaumes wird mir liebevoller Begleiter sein, wann immer ich einer Weide begegne und mich daran erinnern, dem Stern der Freude zu folgen. Vielen Dank und herzlichen Gruß!
    Beate

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  2. So eine schöne Weidenfrau hast Du erschaffen, ich hatte immer schon das Gefühl, daß die Weiden Zauberwesen sind, das wird hiermit bekräftigt! Es schneit gerade heftig bei uns, in dicken Flocken, eine jede ist ein Stern der freude1 vielen Dank für Deine Geschichte und überhaupt alles! Extrem viele Grüße vom nördlichen Alpenrand. Margarete

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    1. Liebe Magarete, freut mich, wenn sie Dir gefällt. Ich habe noch ein paar Weiden gefunden. Vielleicht bekommt sie heute noch ein paar Arme. Ich habe gerade gesehen, dass es im Süden wieder schneit. Hier im Norden ist es auch wieder eisekalt. Liebe Grüße von Nord nach Süd, Susanne

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