Perlenketten

‚Weben Wort-Fäden – zu Perlenketten‘

Das Lied aus ihrer Geschichte klang noch nach. Es war schon viele Mondenjahre her, an einem heiligen Abend in der Großen Stadt war Blaue Feder allein. Sie ging in ihr Atelier und fing an drei Bilder zu malen. Während sie malte, geschah das Wunder, sie fühlte sich nicht mehr so allein. Sie nannte ihre Bilder: ‚Die drei heiligen Königinnen‚. Sie hängte ihre drei Bilder in ihre Küche und von dieser Zeit an, begleiteten sie die Drei auf ihrem Weg.

Blaue Feder kaute immer noch auf dem Kern herum und am Abend bat sie um einen Traum zu eben jenem ‚Kern‘.

Im Traum war sie auf der Flucht. Sie wurde wohl politisch oder aufgrund ihrer relgiösen Ansichten verfolgt. Wie auch immer, sie hatte Angst entdeckt zu werden und sie wusste nicht, wem sie trauen konnte. Immer wieder musste sie sich neu auf eine Situation einstellen. Am Ende musste sie sogar ihr eigenes Land verlassen, wenn sie überleben wollte.

Blaue Feder überraschte der Traum. Erst wollte sie ihn beiseite schieben. Dann setzte sie sich hin und schaute sich ihren Traum genauer an. So, wie ihr im Traum, erging es grad vielen Menschen auf dieser Erde. Viele verlassen ihr Heimat-Land, werden poltisch verfolgt, erleiden Gewalt, Mißbrauch und Hunger oder verlieren alles, was sie sich aufgebaut haben, durch Katastrophen. Schaute sie in die Welt erging es ihr wie Avalokiteshvara aus einer ihren Geschichten – das Leiden schien garnicht weniger zu werden.

Blaue Feder musste nicht ihr Land verlassen, aber sie wuchs in einer Familie auf, mit Eltern, die vom Krieg traumatisiert waren. Sie wusste, was es bedeutet auf der Flucht zu sein, keine Geborgenheit zu finden, immer Angst zu haben. Auch wenn der Krieg lange vorbei war, war er in ihrer Familie stets gegenwärtig. Manchmal sind es die inneren Leiden, die uns flüchten lassen und unsere innere Heimat verlassen.

Einst hörte sie einen alten peruanischen Heiler sagen, wenn wir uns selbst heilen, dann heilen wir sieben Ahnen-Generationen hinter uns. Das hatte sie berührt und es klang in ihr nach.

Ihr kamen noch einmal die Matroschkas in den Sinn. Lag ihr Geheimnis vielleicht darin, Schicht um Schicht die eigene Ge-schichte zu entdecken?

In ihrer Familie gab es wenig Worte für das Erlebte. So lauschte Blaue Feder in die Stille. Sie hörte genau hin, wenn jemand lachend erzählte und sie Trauer spürte. Da sie selbst keine Worte fand, für das, was sie spürte, fing sie an, Bilder zu malen. Mit den Bildern kamen dann langsam die Worte. In der Natur fand sie zu den Worten ihre Sprache wieder und langsam fing sie an zu singen, wie die Vögel.

Sie hatte in den Rauhnächten ihren Geschichten gelauscht und sie hatte den Eindruck, ihre Geschichten erzählten alle vom ‚Heimkommen‚.

In ihren Geschichten spiegelten sich viele Facetten ihres Seins. Sie erzählten von den Seelenländern, die sie bereist hatte. Sie nahm wahr, welche Geschichten sich schwer erzählen ließen, wann sie einen Frosch im Hals bekam, sich ihre Stimme überschlug, vielleicht ein wenig hoch war, sie sich verhaspelte oder bei den S-Lauten sanft lispelte wie früher als Kind. Blaue Feder war keine große Rednerin, hatte sie einen großen Teil ihres Lebens geschwiegen.

Im Kern ging es wohl darum, sich zu ver-heil-samen, sich selbst liebevoll mit allen Facetten ihres Seins anzunehmen.

Sie hatte in den Rauhnächten von ihrer Mutter geträumt.

Die Mutter saß in ihrem Garten in einem ihrer farbigen Kittel-Kleider. Sie trug gerne weiche Kittel-Kleider aus einem Frottee-Stoff in bunten Farben. Die Sonne schien und sie spielte mit Taiga ihrer Katze und lachte zu ihr herüber. -.Ja, es hätte ihr gefallen mit Taiga zu spielen, denn ihre Mutter liebte Tiere.

Das war ein berührendes Bild. Zu Lebzeiten hatte sie ihre Mutter wie hinter einer Nebelwand erlebt. Sie konnte sie nicht erreichen, sie nicht berühren. Ab und an gelang Blaue Feder ein Blick hinter die Nebel, doch verschloss die Mutter ihr Herz schnell wieder, wohl aus Angst, die Gefühle könnten sie überschwemmen. Erst nach ihrem Tod, waren sie sich näher gekommen. Als Seelen konnten sie sich frei begegnen und einander erkennen.

Deshalb möchte Blaue Feder heute hier die kleine Geschichte erzählen, die sie der Graugans geschickt hatte, zu ihrem Seelenprojekt 24 T. – Mutmaßungen über meine Mutter, Tag 15: Blaue Feder | Graugans. Eine kleine Geschichte, die vom Heimkommen erzählt, vom ‚Heimkommen im Land ihrer Mutterseele‘.

Die Seelenhaut

Als die Mutter geboren wurde, da leuchtete das Sternenbild der Jungfrau am dunklem Nachthimmel. Sie vermutete ihre Mutter war eine Meer-Jungfrau, eine Robbenfrau und sie ihr Robbenkind.
Stand die volle Luna am Himmel, so wurde erzählt, dann legte die Mutter ihr Seehundfell ab und tanzte nackt mit ihren Schwestern im Mondenlicht. Sie lachten vor Vergnügen und sangen mit zauberhaften Stimmen.
Dann war sie wohl wahr, die Geschichte von der Seelenhaut.
Die Mutter war nun schon lange heimgekehrt in das Land ihrer Seele. Blaue Feder webte sich eine Kuscheldecke, ein Seehundfell und sie webte in ihre Seelenhaut, was sie aus den Geschichten, die am Feuer erzählt wurden, erinnerte.
Ließ sie der Alltag ein wenig frösteln oder fühlte sie sich allein, kuschelte sie sich in ihre Seelenhaut. Dann spürte sie die Umarmung der Mutter, als wäre sie selbst zugegen. Dann öffnete sich der weite Raum in ihrem Herzen. Im klaren Meereswasser erblickte sie dann die weisen, wilden, seelenvollen Augen der Glänzenden und sie tauchte tief mit ihr hinab, bis zum tiefsten Meeresgrund. Dort hielten sie Zwiesprache und sie verweilte solange im Land ihrer Mutterseele, bis auch ihre Augen wieder glänzten, ihr Herz lachte und sie erfüllt in ihren Alltag zurückkehren konnt
e.

(Frei erzählt nach der Geschichte ‚Soulskin‘ von Clarissa Pinkola Estés)

Sie möchte hier an dieser Stelle, der Graugans danken. Es braucht wohl seine Zeit den Kern einer Geschichte zu erkennen. Ihr wurde klar, jede Begegnung kann uns eine Perle ins Herz legen. Wenn wir unsere Geschichten miteinander teilen, verbindet es uns. Jede Geschichte ist wie ein kostbare Perle. Aufgereiht zu Perlenketten, legen unsere Geschichten Zeugnis ab, von den Schritten, die wir gegangen sind, auf unserem Weg zurück.

Blaue Feder würde weiter auf Perlensuche gehen, tief unten am Meeresgrund und dabei kuschelte sie sich mit Taiga in ihre Seelenhaut.

8 Kommentare zu „Perlenketten

  1. Hallo Blaue Feder
    *ver-heil-samen*!!! … wie und was Du hier mehr als schreibst *boaaah* … sitze hier und bemerke grad wie sich ein Blogeintrag bzgl. meiner Omi väterlicher Seite in meinem Kopf zusammensetzt.
    Herzlichen Dank dafür

    Gefällt 1 Person

      1. … mit Holunderblüten vermengt kommt Mensch so richtig gut in’s schwitzen. Eine wunderschöne Corona hat die Linde, ist aus der Germanenwelt nicht wegzudenken. Ich habe zu danken

        Like

Hinterlasse einen Kommentar