‚Biikebrennen‘

Zum Jahreswechsel war der Meeresstrand übersät mit Herzen. Es freute Blaue Feder und sie schmunzelte, weil einige ihrer Zeit etwas voraus waren. Sie selbst war in der Silvester-Nacht, als Brauner Bär tief und fest schlief, kurz vor Mitternacht dem Strom gefolgt und hatte sich in einem Kreis von Menschen vor der Seebrücke eingefunden. Es war eine schöne Stimmung. In der Mitte feuerte, wer wollte, Sternenstaub in den Himmel, während im Kreis Wunderkerzen geschwenkt wurden und Blaue Feder fiel auf, sie lächelte.

Sie folgte am Neujahrsmorgen den Drachen-Wegen.

Manchmal fand sich ein Blauer Stein zwischen all den Schwarzen, wie das Auge eines Drachens.

Waren die ersten Tage am Meer sehr einladend, mild und sonnig, stellten sich in der zweiten Woche am Meer wieder Winterstürme ein. Wasser ergoss sich über das Land, der Sturm heulte auf, bis es schließlich kühler wurde und der Regen sich in weiße Schneeflocken wandelte. Als Frau Holle ihre Betten ausschüttelte, fuhr Blaue Feder wieder heim durch die hügelige Winter-Landschaft ihrer Ahnen.

Während des Sturmes – der Strand war verschwunden und nur die Sturmmöwen trauten sich noch hinaus – brachte Blaue Feder beherzt ihr Lebensboot, das ‚Sternchen‘, in Sicherheit vor den wilden, schaumschlagenden Wellen. Die Meermutter zeigte sich von ihrer wilden Seite.

In den Rauhnächten hatte sie ihre Kreise gewebt und fuhr mit farbigen Eindrücken in ihrem Tagebuch heim. Manchmal hatte sie den Eindruck, ein Thema vom Vorjahr klang noch einmal an und wollte vertieft werden. Die Traumwege im neuen Jahr schienen ihr bunt und vielfältig.

Es war nicht alles leichte Kost, doch ging es viel darum, es sich leichter zu machen. Ihr Koffer auf der Heimreise hingegen war schwer – zum Glück fand sich wieder die Hilfe von jungen Frauen, auf Bahnsteigen ohne Aufzug. Gerne wollte sie in der Zukunft wieder mit leichtem Gepäck reisen. Sie freute sich über ihre kleinen Zauberkreise, die sie an die freien Tage an der Ostsee erinnern würden. Nachdem sie sich die letzten Jahre zwischen den Jahren oft vertüttelt hatte, nicht ihrem Schwarm gefolgt war, war sie diesmal mit den Gänsen, ihren Schwestern, geflogen, hatte zu sich gefunden und ihrer Art die Tage zu durchträumen. Sie war mit sich im Frieden und die Gänse flogen bei ihrer Abreise zum Abschied noch einmal tief über ihren Strandkorb.

Ihr dreizehnter Kreis zeigte eine Katze und sie fand es sehr stimmig, fuhr sie endlich wieder heim zu Taiga. Den Abend und die ‚Nacht der Wunder‘ hatten sie ihr Wiedersehen gefeiert, sich erzählt, was sie erlebt hatten und viel, viel gekuschelt. Sie waren glücklich wieder beisammen zu sein. So war Blaue Feder etwas müde und würde nicht viel Schreiben.

Es heißt in den Perchtennächten können Wunder geschehen. Ein kleines Wunder fand sich tatsächlich ein, als sie in der Weltenkiste eine Nachricht vorfand, mit der sie nicht mehr gerechnet hatte. Sie hatte sich für einen Mal-Kurs auf Sylt zum Biikebrennen angemeldet. Das Biikebrennen war eines der ältesten Feste im Norden und wird am 21. Februar gefeiert. Der Kurs war ausgebucht und sie hatte sich auf die Warteliste setzen lassen. Zu ihrer Freude bekam sie doch einen Platz. Also würde sie im Februar wieder ans Meer fahren, eintauchen in diesen alten Brauch und in ein archaisches Seminar voller Geheimnisse, wenn auf den Inseln, die Feuer leuchten.
‚Im künstlerischen Tun werden, wenn es gelingt, Gnomen, Puck und Finn mit sinnlichen Mitteln auf den Plan gerufen: Ein übersinnlicher Teil der Wirklichkeit wird sichtbar‘.

Es war wohl dieser Satz der Ausschreibung, der sie verzückt hatte. Nun musste sie überlegen, was sie an Materialien mitnahm, damit ihr Koffer nicht zu schwer wurde. Klar war, Pukka wollte sie auf dieser Reise begleiten und mit ihr den Beginn des Drachenjahres feiern.

In Ostrohe wurden die Tannenbäume am morgigen Tag verbrannt. Manchmal waren eben auch die Ostroher ihrer Zeit etwas voraus. Es war das erste gemeinsame Fest in ihrem Dorf. Blaue Feder wusste noch nicht, ob sie zum Feuer gehen würde, musste sie erst einmal wieder ankommen. Gerne wollte sie zum Ausklang der Rauhnächte den Schwalbenhof mit Beifuß räuchern, hingen noch ein wenig die Energien des vergangenen Jahres in den Räumen. Wer weiß, vielleicht würde sie am Abend selbst ein kleines Feuer mit ihren Weihnachtszweigen entzünden.

Wenn die neue Mondin am Himmel stand und einen neuen Mondenzyklus einläutete, dann würde auch Brauner Bär wieder von der Ostsee, aus dem Land seiner und ihrer Großeltern, heimkehren.

Blaue Feder hatte den Eindruck, sie würde in diesem Jahr viel Malen und jene Dinge tun, die ihr Freude bereiteten. Sie würde wohl auch den Braunen Bär in die Mucki-Bude begleiten, war er spindeldürr nach seiner Herz-Geschichte. Vielleicht war es nicht das Allerliebste, was sie tat, aber schaden würde es ihr sicherlich nicht. Gemeinsam würden sie ein neues Kapitel in ihrem Lebensbuch schreiben, nur darauf kam es an. Denn das Große Wunder war bereits geschehen und es hatte sie einander noch näher gebracht. Die zarten Seiten des Braunen Bären, die sie immer schon gesehen hatten, waren jetzt sehr deutlich nach außen sichtbar; zart, wie die unbeschriebenen Seiten des Jahres, voller Möglichkeiten und glücklicher Hoffnung.

Die Neue Mondin im Steinbock erinnerte sie an eine Geschichte von einer alten, weisen Eule, die ihr Herz mitten im Gesicht trägt. Diese möchte sie hier noch gerne teilen.

5 Kommentare zu „‚Biikebrennen‘

      1. Lieben Dank für deine Worte. Ich finde, dass du auch besonders schön schreibst. Mag deine Beiträge. Herzensgrüße zurück, Madeleine

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