Die Geschichte von den drei heiligen Madeln

Es war zu jener Zeit, als die dunkle Mondin am Himmel stand und sich Sonne und Mondin bei den Händen hielten im Zeichen des Skorpion. Blaue Feder ging hinaus der Natur zu lauschen und die Nebelfrauen begrüßten sie. Die Fasanen riefen, doch waren sie kaum zu sehen. Die dunklen Silhouetten der Weißdornbäume hoben sich schwarz vor dem weißen Nebel ab. Die Wollsammler lagen noch zusammengekuschelt von der kalten Nacht beieinander.

Blaue Feder ging beherzt zum Schlangensee, wenn auch ein Eichelhäher aufgeregt im wilden Wald krächzte und sie nicht wusste, ob er sie begrüßen, warnen oder einfach nur erinnern wollte, mal wieder ein paar Nüsse in den Garten zu legen. Sie wollte in jedem Fall achtsam ihren Weg gehen.

Der Schlangensee lag still im Nebel. Blaue Feder spürte die Präsenz der Grauen – siehst Du sie?

Na, kannst Du nun die Geschichte von den drei heiligen Madeln zusammen bringen?

Als die Graue sie fragte, flogen drei Enten auf und zogen ihren Kreis über sie hinweg.

-Vielleicht hast Du Dich bei ihrer letzten Geschichte gefragt, warum Margarete mit dem Drachen tanzt? Blaue Feder hatte es einfach so in den Raum gestellt.

Eine kleine Entdeckung im Dithmarscher Landesmuseum konnte vielleicht für Aufklärung sorgen. Das Landesmuseum hatte drei Jahre geschlossen, wurde umgebaut und hatte im September im modernen Design wieder seine Tore geöffnet. Brauner Bär wollte es sich gerne anschauen. Blaue Feder dachte, vielleicht konnte sie hier den Faden der Drachen wieder aufnehmen. Sie gingen durch die Ausstellung und wussten nicht so recht, ob ihnen die alte Gestaltung nicht mehr gefallen hatte. Nicht alles Neue war unbedingt besser. Gleichwohl war Blaue Feder wieder begeistert von den Mustern der alten Stoffe.

Auf einem alten Schrank entdeckte sie die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies.

Dann stand die Tür zu einer Abseite offen. Hier wurden wohl die Artefakte aufbewahrt, die zu restaurieren waren. Und dort fand sie doch tatsächlich eine Figurine der Heiligen Margarethe mit dem Drachen gleich neben einer Büste von Adolf Hitler. Erst wollte sie den Herrn Hitler aus dem Foto herausschneiden, aber dann entschied sie sich, genau hinzuschauen, was es ihr sagen wollte.

War doch die Frage, wo lenkte sie ihre Aufmerksamkeit hin. Die neue Erde war in Vielem schon wahrnehmbar und gleichzeitig nahm die kollektive Angst des Krieges, die noch zur alten Welt gehörte, einen großen Raum ein. Diese Felder brauchten wohl noch viel Heilung. Heilung begann für Blaue Feder im Feinstofflichen und es schien ihr wichtig, es zu erkennen und die ureigene Kraft dahin zu lenken, wo das Leben neu entstehen möchte, wo das genährt wurde durch uns, was geboren werden möchte. Sie selbst schwankte in ihrem Boot momentan auch ganz schön hin- und her, doch mit jedem Morgen und mit jedem Atemzug konnte sie sich neu entscheiden, wohin sie ihre Energie lenkte. Sie konnte vor Angst erstarren oder sich auf den Wandel von Mutter Erde einstimmen. Konzentrierte sie sich auf das Herz von Mutter, hatte sie den Eindruck, ihr Rhythmus veränderte sich. Es war viel in Bewegung und die Frage war, wie mit all dieser Energie umzugehen war.

Zurück zu Magarete mit dem Drachen – in den Alpenländern war die Geschichte von den drei Madeln wohl noch bekannter. So war sie glücklich, das Margarete den weiten Weg hoch in den Norden nach Dithmarschen gefunden hatte.

„Barbara mit dem Turm, Margarete mit dem Wurm, Katharina mit dem Radel, das sind die drei heiligen Madel!”

Dieser alte Spruch zeigte, es waren Dreie, die durch das Land zogen, weisen Rat erteilten, Gaben schenkten und mit denen sie auch über das Schicksal reden oder verhandeln konnte.

Blaue Feder kannte die Drei eher als die Bethen. Sie reihten sich ein in die Triaden der großen Schicksalsgöttinnen, wie die griechischen Moiren, die germanischen Nornen und die römischen Parzen. Im Märchen tauchen sie auf als die Weiße – weiß wie Schnee, die Rote – rot wie Blut, die Schwarze – schwarz wie Ebenholz – erinnerst Du Dich an Schneewittchen?

Einst waren sie machtvolle Göttinnen und Töchter der Riesinnen. Mittlerweile wurden sie Madeln und Märtyrerinnen genannnt. Doch hing es hier nicht um groß oder klein. ‚Bet‘ hieß im Keltischen immerwährend oder ewig. Die Bethen waren daher ‚die drei Ewigen‘ und der Inbegriff des immerwährenden, ewigen Lebens. Die Bethen waren auch die ’saligen Frauen‘, die heiligen oder die Heil-bringenden.

Die Natur hatte ihr Wissen bewahrt und so wurden sie in Irland weiter als die glänzende Frühlingsgöttin Brigid, die große Sommer-Mutter Modron und die alte Wintergöttin Cailleach, die Wandlerin verehrt. Blaue Feder war zu drei Bäumen geführt worden. Der Weißdorn trug wie die Birke die Kraft der jungen weißen Göttin.

Die Hasel und auch der Spindelbaum mit seinen roten Blüten die Kraft der roten und der alte Hollerbaum die Kraft der alten schwarzen Göttin. Blaue Feder spürte ihre Kraft, wenn sie in der Natur war.

Die Bethen hießen Wilbeth, Ambeth und Borbeth.

Wilbeth-Katharina nahm den Faden auf und spann den Lebensfaden auf ihrem Lebensrad. Sie reichte ihn weiter zu Ambeth-Margarete, die daraus die schönen Muster webte. Sie war die Leben gebärende Mutter und wurde oft mit der Schlange der Urmutter dargestellt, die den Kreislauf von Geburt – Leben und Wiedergeburt symbolisierte. Borbeth-Barbara war jene, die den Faden irgendwann abschnitt. Sie verkörperte den Tod und den Wandel, den dunklen bergenden Schoß von Mutter Erde, der den Menschen das Leben schenkte und es wieder in sich aufnahm. Ihr Symbol war der Turm, in dem sie das heilige Wissen bewahrte. Sie stellte den dunklen, schwarzen Aspekt der Göttin dar, der vor allem im Winter seinen Platz hatte.

Blaue Feder bedankte sich bei der Grauen noch einmal für diesen Exkurs zu den drei heiligen Madeln und hoffte, sie hatte es zusammengebracht. Die Graue trug für sie die Kraft der alten Cailleach in sich und manchmal zeigten sich alle Drei.

Sie sah die Krähen wie die Hagezussen auf dem Zaun sitzen.

Als die Sonne langsam über den Weißdornbäumen sichtbar wurde, kam ihr der Gedanke, sich am Abend ein Feuer zu anzuzünden und wie die Hagezussen über den Zaun zu springen und zu schauen, was an Schicksal verhandelbar war. Sie wollte die drei Weberinnen fragen, ob sie einer drachenkundigen Ahnin begegnen durfte und wie ihr nächster Schritt aussehen könnte.

Im Schein der Sonne sah sie die Fasanen sitzen. Sie saßen ebenfalls auf einem Zaun, wie auf Amrum und ihr wurde klar auch sie wohnte auf der Fasanen-Insel.

Am Ortseingang, dort wo einst das Geisterhaus gestanden hatte, lachten sie die Mondtaler und die Stechpalme an.

Es gab eine Geschichte, die an das Haus erinnerte und vielleicht schon ein bisschen auf die kommende Adventzeit einstimmen konnte.

Am Abend zündete sich Blaue Feder ein Feuer an. Sie versenkte sich mit ihrer Drachenrassel und stieg den Weltenbaum hinab in die untere Welt, tief hinab zu den Schicksalsgöttinnen. Sie kam zu einer Quelle, sah sie dort sitzen und den Faden weben und sie brachte ihr Anliegen vor.

Ich möchte einer drachenkundigen Ahnin begegnen.

Es war die rote Göttin, die ihr einen Faden in die Hand legte. Der Faden verwandelte sich in ein Netz, sah aus wie ein Fischer-Netz und es zog sie zum Meer.

Tauche tief in das Ur-Meer der Ge-Zeiten.

Dann kam eine leuchtende Gestalt auf sie zu und es war Maria. Hinter ihr sah Blaue Feder eine lange Reihe von Göttinnen, die wie sie das neue Leben gebaren. Maria trug ein Licht in Händen und legte es ihr in die Hände.

Auch Du bist eine Drachenkundige – auch Du trägst das Licht in Dir. Entzünde Dein Seelenfeuer und folge Deiner Seele. Die Schlangenkraft lebt in Dir. Tanze mit der Schlange.

Blaue Feder kamen die Tränen. Sie war tief berührt von dieser Energie und von der Liebe, die sie umfing. Und sie verstand, die liebvolle Energie, die sie nachts manchmal wahrnahm und die sie durch jede Krise begleitet hatte, war eben diese. Und es war egal, wie Du sie nennen magst, ob Maria, Liebe oder wie auch immer.

Dann kam sie zurück zu den Weberinnen und die alte schwarze Göttin legte ihr einen Stein in die Hände.

Entzünde mit ihm Dein Feuer.

Sie erkannte den Stein – es war der Stein, den sie auf Amrum am Strand gefunden hatte – es war der Feuerstein. Es war der Stein, von dem sie schon eine Weile erzählen sollte.

Er ist ein steinweiser Ahne – vertraue Dich ihm an. Folge wie gewohnt Deinen Impulsen und lasse Dir Zeit.

Als Dank, schenkte Blaue Feder der jungen weißen Göttin eine Feder und sie verstand, das Schreiben ihrer Geschichten war ihr Geschenk an die Natur.

Bis wir uns wiedersehen tanze dreimal – betanze Dein Ahnentuch. Tanze mit der Schlange, Tanze mit dem Drachen. Alles andere wird sich finden.

Sie bedankte sich bei den drei Saligen und kletterte den Weltenbaum wieder hinauf, bis sie wieder vor ihrem Feuer saß und das Erfahrene nachwirken ließ und aufschrieb.

Mal wieder wurde Blaue Feder aufgefordert zu tanzen. Bestimmt war das Tanzen eine gute Idee diese bewegenden Energien zu kanalisieren. Sie würde es tun und schauen, was es mit ihr machte.

Nun hüpfte sie erst einmal in den Garten. Der war, bei allem, was geschehen war, völlig verwildert. Sie wollte ihn noch ein bisschen für den Winter vorbereiten, denn die Temperaturen sanken zusehends und langsam wurden die Nächte immer kälter.

Hier war noch die Geschichte vom Geisterhaus und den Silbermondtalern. Blaue Feder wünscht Dir viel Freude beim Hören.

5 Kommentare zu „Die Geschichte von den drei heiligen Madeln

  1. Das ist wieder eine so tiefe und feinsinnige Beschreibung deines Weges, liebe Susanne… Hab vielen Dank, dass du uns daran teilhaben lässt…
    Besonders freute mich, dass du deine Geschichte: „Das Geisterhaus und die Silbermondtaler“ auch hier geteilt hast… Sowohl diese Geschichte als auch: „Mein Opa wohnt jetzt wieder im Himmel“, begleitete uns – meinem lieben Mann und mich – neulich durch unsere Nachmittags-Kaffeerunde…
    So schön! DANKE auch dafür!
    Dir und dem Blauem Bär einen gesegneten Tag und alles LIEBE von Herzen, wünscht Elke

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    1. Oh, das freut mich, liebe Elke, besonders, dass Ihr zusammen meinen Geschichten lauscht. Ich wünsche Euch auch einen schönen Tag. Vielleicht gehen wir heute zusammen eine kleine Runde – viel geht momentan nicht, aber es ist schön einfach beieinander zu sein. Liebe Grüße vom Schwalbenhof

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  2. Liebe Susanne, wie spannend von dir zu lesen! Und witzig, ich habe mir überlegt übers Wandern und Mythen und Sagen zu schreiben, und bin dabei auch auf Margarethe und die drei Madreien gestossen. Ich singe den Mädchen immer das Lied von den drei Madreien, die eine die spinnt Kreide, die zweite, die spinnt Seide, die dritte die spinnt Haferstroh, bhüetmir Gott mis Schätzi o. Hatte keine Ahnung, dass der einfache Kinderreim solch alte, tiefe und mythologische Wurzeln hat. Die grauen Bilder sind wunderschön. Ich bin grad im Zug… in Richtung deine Richtung. Wenn du in der Stadt bist, und es dir möglich ist, könnten wir zusammen Mittagessen gehen, oder so? Einfach kein Stress, wenn klappt, ist es schön und sonst auch okay. Herzlich, Nina

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    1. Liebe Nina, ach wie schön diese Parallelen. Vorletzte Woche hatte ich schon die Freude Deine Mutter mal wieder zusehen. Andrea sagte schon, dass Du kommst. Ich bin tatsächlich morgen auch in Hamburg. Da steht einem gemeinsamen Mittagessen wohl nichts im Weg. Ich freue mich auf Dich, Susanne

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