Die Apfelkinder schauten immer noch gebannt auf die Apfelzweige. Ob sich eine Blüte zeigen würde? Blaue Feder hatte zwei Apfelzweige auf die Fensterbank gestellt. Einen aus ihrem Garten und einen vom wilden Apfelbaum aus dem Moor. Im Paradies standen doch auch zwei Bäume.


Irgendwie tat sich da recht wenig bei den Zweigen. Blaue Feder wusste nicht, ob ihr dieses Ritual gefiel? Was, wenn keine Blüte blühte? Hatte sie dann im kommenden Jahr kein Glück? Hatte sie deshalb zwei Zweige genommen? War dann die Möglichkeit einer Blüte größer? Blaue Feder merkte, ein solches Rituale löste bei ihr mehr Druck als Freude aus.
Es war noch dunkel, als Blaue Feder aufwachte. Zwei Tage hatte es wie aus Eimern geschüttet. Blaue Feder hatte sich zurückgezogen. Zuerst wurde sie unsichtbar und dann hörte sie keiner mehr. Waren ihr nun auch die Worte abhandengekommen?
Am Morgen kam ihr der Gedanke: ‚Die Geschichte neu schreiben‚
Seit einiger Zeit lag das neue Buch von Cambra Skadé ‚Geschichtenklang‘ bei ihr am Feuer. Ab und an schlug sie eine eine Seite auf und las eine Geschichte.
Sie war bei den Sagen der Wurzelweiblein gelandet. Das passte gut, machte sie sich gerade mit der Engelwurz vertraut. Weil sie nicht sicher war, wie die Pflanze ausschaute, kaufte sie sich getrockneten Engelwurz und machte sich erst einmal einen Tee.
Als ihr Duft sie einhüllte und sie ein paar Schlucke trank, war ihr, als würde ein Engel seine Flügel um sie legen. Sie hatte die Tage damit verbracht, Süßigkeiten in sich hineinzustopfen, weil Dinge nicht so liefen wie es ihr gefiel. Nun fragte sie sich, warum sie sich nicht liebevoll in den Arm nahm. War es wirklich so schlimm, nicht gesehen und nicht gehört zu werden. War es nicht schlimmer, wenn sie sich selbst nicht sah und hörte? Konnte sie sich nicht einfach entspannt zurücklehnen und sich selbst eine liebevolle Mutter sein.
Die goldene Energie des Engelwurz breitete sich in ihrem Herzen aus, in ihrem Körper und in ihrer Aura und sie gab sie sich ein Versprechen, die Tage liebevoller mit sich umzugehen – zu schauen, was ihr wirklich gut tat.
In der Nacht im Traum telefonierte sie mit einer Heilerin. Oh, sie hatte eine so wunderbare Stimme. Sie würde ihr bestimmt helfen können. Sie machten eine Uhrzeit ab. Blaue Feder musste bis 11:00 wo sein, sonst wäre es zu spät. Als Blaue Feder den Hörer auflegte, wusste sie allerdings nicht, wohin sie kommen sollte, weder die Straße, noch die Hausnummer. Sie ging einfach los. Die Menschen, die sie unterwegs traf, waren ihr keine große Hilfe. Eher hielten sie sie davon ab, weiter zu suchen. Ihr Handy funktionierte auch nicht. Blaue Feder war verzweifelte, weinte bitterlich und ging dann einfach weiter.
Wie durch ein Wunder kam sie in die richtige Straße. Nun wusste sie die Hausnummer nicht, aber ihr kam die 21 in den Sinn. Aber wo war die 21? Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Immer wieder lenkten Menschen sie ab. Eine Minute vor der verabredeten Zeit, kam sie zu dem Haus Nr. 21. Menschen gingen ein und aus, es war wie ein Spirituelles Zentrum. Sie suchte Anna Née. So hieß die Heilerin. Sie sah eine Frau eine andere Frau umarmen. War das Anna Née? Sie wachte auf, bevor sie Anna Neé fand.
Sie war noch ganz außer Atem, als sie aufwachte. ‚Anna‘ erinnerte sie an die alte weise liebende Anna, die große Mutter. ‚Anna Née‘ war wohl Französisch und hieß ‚Annas Geburt‘. Anna erinnerte sie an ihr Herz. ‚Ana‘ hieß auch Herz. Der Name erinnerte sie auch an die Geburt des neuen Jahres. Diese Geburt konnte eigentlich nur in ihrem Herzen stattfinden.
Sie war wohl selbst diese Heilerin. Sie konnte sich selbst heilen, wenn sie sich liebevoll annahm. Wer, denn sie, wusste, was ihr guttat. So stand sie auf, ließ den Traum in ihrem Herzen nachklingen. Sie machte sich Kerzen an und setzte einen Topf mit Engelwurz aufs Feuer für ein schönes Bad. Sie tauchte ins warme Wasser. Nicht verkehrt, sich einfach einmal um sich selbst zu kümmern.
Im Bad kam ihr der Gedanke: ‚Die Geschichte neu schreiben‚
Gleich neben der Sage von den Wurzelweiblein stand eine kleiner Absatz der hieß: ‚Geschichten erneuern‚.
‚Es gilt, die Geschichten, die Sagen die Mythen immer mal wieder abzuklopfen und zu überprüfen, ob sie noch oder überhaupt lebensdienlich sind. Oder wem sie dienen. Ob sie Kraft geben, heilsam sind oder ob es eine Erneuerung braucht. Unsere Zeit könnte neue Mythen gebrauchen, neue Sagen, neue Geschichten von unserer Erdengemeinschaft. Erfinden wir sie, wenn es sie nicht gibt.‘ Cambra Skadé
Diese Worte waren ihr nachgegangen. Mit diesen Gedanken ging sie in ihre Runde. Sie ging durch das Dorf. Sie kam an der alten Friedenseiche vorbei, die von einer Laterne beleuchtet war. Die Weihnachtsbeleuchtungen im Dorf waren recht dezent – hier ein Stern im Fenster, dort ein Baum mit Lichtern. Sie schritt durch einen Lichterbogen.


Auf der freien Flur kam sie sich etwas verloren vor. Da fühlte sie wie die Alte rechts ihre Hand drückte und links das Kind ihre Linke. Nun waren sie zu dritt. Das fühlte sich gut an.
Die Venus hing am Rande eines dichten Wolkenringes. Es war noch wenig zu sehen. Ein paar Gänse kamen geflogen, sahen Blaue Feder und drehten ab – oh, die Gänse, ihre Schwestern, sahen sie.

Im Dunkel wurden die Baum-Silhouetten präsenter. Manchmal hörte sie die Baumgeister raunen. Die alten Eichenblätter sangen im Wind ein fremdes Lied von der Geduld. Die Rehe auf der Wiese hörten Blaue Feder und liefen in den Wald – oh, die Rehe, ihre Brüder, hörten sie.
Blaue Feder fielen die vielen Hexenbesen in den Birken auf. Als sie am Erlensee stand, sang ein Zaunkönig sein Lied. Er erinnerte sie an ihre Geschichte ‚Das Lied der Winterkönigin‘. Welches Lied würde sie in diesem Winter singen und welche Medizin würde sie wohl durch das Neue Jahr begleiten?

Drei weiße Reiher querten ihren Weg. Zum Sonnenaufgang wollte sie an den Großen Mondsee.




Blaue Feder bestaunte den Sonnenaufgang. Es war ihr, als würde ein Engel etwas Neues bringen, während die alten Geister unten ihres Weges gingen. Das Alte ging und das Neue kam mit einer neuen Geschichte, die noch zu schreiben war.
Zurück im Dorf sah sie fasziniert wie die alte Straße aufbrach und grünes Gras hervorkam. An einem Birkenstamm sah sie eine grüne Schlange sich aufwärts schlängeln.


Als Blaue Feder vom Spaziergang zurückkam, war sie sehr müde. Sie setzte sich zur Meditation. Goldene Energie breitete sich in ihrem Herzen aus, in ihrem Körper und in ihrer Aura. Sie empfand diese Energien als sehr heilend.
Es war nun kurz vor der Wintersonnenwende. Blaue Feder fühlte sich wie ausgestellt. Irgendjemand hatte wohl ihren Ausschalter gefunden. Wohlmöglich würden ihr jetzt auch die Worte abhandenkommen, aber sie wusste, sie würde sie auch wiederfinden im Wald bei den Bäumen. Sie würde sich einfach immer mal hinsetzen, die Augen schließen und sich diesen Energien hingeben. Mehr war wohl nicht zu tun.
-Vielleicht noch ein bisschen den Hof räuchern mit Engelwurz. Ja, das war eine schöne Idee!
Ich bin tief beglückt von solchen Bildern, Gedanken , Wegen…DANKE,
liebe Blaue Feder…und von Herzen alles Gute!
LikeGefällt 1 Person
Das freut mich liebe Sigrid. Dir wünsche ich von Herzen auch alles Liebe.
LikeLike
Was für ein phantastisches Land, in welchem Blaue Feder zu Hause ist!
Vielen Dank für deine Geschichten voller Gedankentiefe und Herzenswärme und die exzellenten Bilder!
LikeGefällt 1 Person
Liebe Beate, Deine Worte berühren mich sehr. Nicht jede/r hält Dithmarschen für ein phantastisches Land. Mir ist es sehr ans Herz gewachsen mit seinem rauhen Charme und seinen Wundern. Herzliche Grüße, Susanne
LikeLike
Wow, wieder so eine wunderschöne Seelengeschichte, in der ich Vieles auch von mir finde und mit der ich in Resonanz gehe💚Liebe Grüße, Manuela
LikeGefällt 1 Person
Hach, wie schön das ist! Eine schöne Zeit wünsche ich Dir.
LikeGefällt 1 Person
Die Apfelkinder sind für mich persönlich seit meiner Kindheit sehr eng mit Weihnachten verknüpft. Ich halte zwar nicht viel von diesem Fest, aber der Aspekt der Familie ist mir extrem wichtig.
Vielen Dank für deine Gedanken und die wundervollen Fotos!
LikeGefällt 1 Person
Die ‚Apfelkinder‘ kamen mir heute morgen so in den Sinn. Gibt es dazu eine Geschichte? Ja, die Familie ist mir auch wichtig. Herzensgrüße, Susanne
LikeGefällt 1 Person
Keine richtige Geschichte. Nur das Wissen, dass meine Mutter sie liebt und sie einfach dazugehörten. Wenn die Apfelkinder rauskamen, begann die Weihnachtszeit.
LikeGefällt 1 Person
Oh, wie schön, das berührt mich gerade sehr. Ich habe sie von meiner Schwiegermutter geerbt. Auch sie liebte die Weihnachtszeit sehr.
LikeGefällt 1 Person
Oh, mein Herz „hört“ jedes Wort, das du schreibst …. ! Wir gehen ja alle jetzt einen dunklen Korridor entlang, der das Alte vom Neuen trennt, und was heilsam ist und war, wird wohl so bleiben, und das was der Seele schadet, darf getrost vergehen und im Dunkel weiter träumen, bis auch das sich transformiert hat.
LikeGefällt 1 Person
Liebe Silvia, das hast Du schön gesagt. Ich lausche gleich mal Deiner Musik.
Herzensgrüße, Susanne
LikeGefällt 1 Person