Wie Schuppen von den Augen

Der Himmel war verhangen. Der Bruder hatte ihr Video bekommen und sich gefreut. So, sollte es sein. Blaue Feder ging zufrieden hinüber zu Ayla und setzte sich ein wenig zur ihr. Sie war etwas bangbüchsig, weil Ayla gerne mal einen Ast abwarf, wenn es zu trocken wurde.

‚Ich würde doch nie mit einem Ast nach Dir werfen,‘ antworte ihr die Dorfeiche auf ihre Gedanken.

‚Aber mit Eicheln schon‘, konterte Blaue Feder.

Beide lachten und unterhielten sich eine Weile. Blaue Feder war unentschlossen, wohin sie heute gehen wollte.

‚Schau doch mal bei den Trauerseeschwalben vorbei,‘ schlug Ayla vor.

Das war eine gute Idee, dann konnte sie mal schauen, ob sich dort etwas gewandelt hatte. Überall auf ihrem Weg öffneten die Heckenrosen ihre Blüten. Es war die Zeit der Rosen und bei der Holzbildhauerin wurde jetzt im Garten gekocht.

Es war schon um die Mittagszeit. Sie kam am Rosenhof vorbei und nahm noch einmal das Sommermädchen mit der Zauberkugel unter die Lupe.

Vielleicht hatte sie noch nicht genau genug hingeschaut?

Sie gagelte ins Moor und neben dem Farn machte auch immer wieder der Schachtelhalm auf sich aufmerksam. Er war wohl ein ähnlich altes Fossil in der Natur, wie seine Bruder der Farn.

Immer wieder lachten sie Rosen an und berührten ihr Herz.

Auch die Brummbären fingen an zu blühen und sie freute sich schon auf die leckeren Früchte.

Als sie zum See der Trauerseeschwalben kam, dort wo sie ihr Mandala ausgelegt hatte, fing es an zu regnen, ganz sanft, wie sie es sich gewünscht hatte. Blaue Feder atmete tief durch und die Natur tat es ihr gleich. Es tat so gut. Sie schaute, ob das Mandala noch lag. Die Fundstücke lagen noch dort, etwas vom Winde verweht.

Sie setzte sich unter eine kleine Eiche und beobachtete die Schwalben im Regen. Oft hatten sie bei starkem Regen ihre Brut verloren. Sie wünschte ihnen von Herzen, dass diesmal alles gut ging.

Im Rücken spürte sie die starke Präsenz des Königsfarnes. Vom Ende des Teiches winkte ihr die Moormutter zu. Sie ermunterte sie den Weg des Königsfarnes auszuprobieren. Sie war ihn im Winter zum Jahreswechsel schon einmal gegangen und war dabei ins Jetzt getaucht. Ein Frosch fand die Idee auch gut.

Der Farn stand nun grün in seiner üppigen Kraft. Blaue Feder ging den Weg entlang und strich zart mit ihren Fingern über die großen Farnwedel.

An einer Stelle, wo viele Marien-Disteln wuchsen, sah sie eine Libelle fliegen. Sie wollten ihr etwas zeigen.

Oh, wie groß war die Freude, als Blaue Feder eine ziemlich große Fläche an Sumpfblutaugen entdeckte. Diese Stelle kannte sie noch nicht und es wuchs hier in Hülle und Fülle.

Auch das Sumpfblutauge gehört zu den Rosengewächsen. Tiefrot waren seine Blüten.

Wie die Blutwurz in ihrem Garten gehörte es zu den Fingerkräutern. Es steht auf der Liste der gefährdeten Pflanzen und unter Naturschutz. Als sie ihr erstes Sumpfblutauge im Moor fand, war sie Feuer und Flamme und malte gleich ein Bild.

Die Graue flog an ihr vorbei und in der Kuhle machte ein Fisch auf sich aufmerksam. Blaue Feder konnte verstehen, dass die Reiher hier gerne saßen. Schon lagen ein paar Gräten vor ihren Füßen und dann ein paar Schuppen, wie im Winter.

Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Hatte sie nicht ihre Stunden reduziert, um der Kunst mehr Raum zu geben. Plötzlich war ihr klar, sie wollte wieder malen und in ihrem Atelier warteten schon die Leinwände.

Der Frosch hüpfte ins Wasser und lächelte sie an. Er hatte seine Mission wohl erfüllt.

Sie rollte ihre Kamera in ihr T-Shirt, weil sie nichts anderes hatte und hüpfte vergnügt durch den Regen heim. Am Ausgang des Moores lachte sie eine Sumpfschwertlilie lachte an.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.

Sie kam wieder am Rosenhof vorbei und der Duft einer wilden Rosen mit goldener Mitte stieg ihr in die Nase und breitete sich in ihrem Herzen aus.

Schnurstracks ging sie in ihr Atelier, sie ging nicht über Los und auch nicht ins Gefängnis, sie machte keinen Umweg mehr und fing an zu malen.

8 Kommentare zu „Wie Schuppen von den Augen

  1. Wie gerne bin ich wieder mit Dir gewandert zu all denZaubergestalten draussen….und angeregt – wie jedesmal -wieder zurückgekommen! Danke,  liebe Susanne, undherzliche Junigrüsse aus Fischerhude 

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    1. Liebe Grüße zu Dir zurück. Ich hoffe, es geht Dir gut. Jetzt hüpfe ich mal in den Garten. Der Regen war nur kurz und ein paar Pflanzen hätten noch gerne einen kleinen Nachschlag. Hab eine schöne Woche, Susanne

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  2. Guten Morgen du liebe, ich habe gerade deine wunderbare Geschichte gelesen, sitze hier auf meiner Couch, höre den Vögeln beim Zwitschern zu und habe dich ein Stück begleitet… was für ein schöner Start in den Tag… liebste Grüße an dich/euch 💝 Anja

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    1. Moin, moin zurück, habe schon gesehen, dass Du wieder gelandet bist. Ich sitze hier auch grad gemütlich – über mir schnackeln die Schwalben und die wilden Stiefmütterchen lachen mich an. Der Tag kann beginnen! Liebe Grüße, Susanne

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