Die Silberfüchsin

‚Ich sehe Dich‘, hatte Ayla gesagt.

‚Ich sehe Dich‘, stand auch auf der neuen Karte die Blaue Feder aus ihrem Medizin-Buch auf ihren Altar stellte.

Es lachte sie die Silberfüchsin an und auf der Rückseite stand nun dieser Satz: ‚Ich sehe Dich‘.

Als sie vor dem Fuchsloch gestanden hatte, hatte sie den Eindruck, ein Fuchs schaue sie aus der tiefen Höhle an.

Nun war Pluto in den Wassermann gewandert. Drei Monate würde er uns einen Blick in die neue Welt geben. Zeigt uns, was wir wollen und was nicht mehr. Er würde noch eine Weile hin- und herlaufen, bis er sich ganz im Wassermann zuhause fühlen würde. Pluto hatte so die Angewohnheit das Unterste zuoberst zu holen. Blaue Feder war gespannt, was im Kleinen wie im großen Miteinander ans Licht kam.

Brauner Bär und sie fühlten sich die Tage wintermüde. Nach ein paar Frühlingstagen war der Winter zurückgekehrt und die Kälte ging an die Nerven. Blaue Feder blieb die Tage immer irgendwo in der Bahn stecken, meist umringt von einer Horde pubertierender Jugendlicher. Angeregt lauschte sie ihren Gesprächen. Sie spürte diese pubertierende, rebellische Energie auch in sich. Sie hatte den Eindruck ihre Schöpferinnen-Energie wollte sich ihren Weg schlagen, stieß hier und dort aber noch auf Widerstände.

So war sie die Tage gestürzt und ihr Arm und ihre Knie sahen nun Veilchen-Blau aus. Es sah schlimmer aus, als es war. Sie versorgte sich mit Arnika Kügelchen und sie hatte noch einen großen Topf Arnika-Salbe im Kühlschrank. Ihr kam die Idee, dass vermutlich auch Veilchen gut waren, für alle Arten blauer Flecken. Nicht umsonst wurde ein ‚Blaues Auge‘ auch Veilchen genannt.

So startete sie in ihre Runde. Der Traum von Ayla, ihrer Dorf-Eiche, ging ihr nach. Es ging irgendwie um das Eigene, das nach einem Ausdruck suchte, war doch jeder Mensch einzigartig.

Am Wegesrand sah sie nun schon viele Kräuter in die Höhe schießen. Da war sie zu sehen die ‚Grünkraft‚ von der Hildegard von Bingen sprachen.

Was war diese Grüne Kraft, die Grundlage jeder Heilung war?

Als Grünkraft (lat. Viriditas von viridis = grün), bezeichnete Hildegard von Bingen, die Kraft, die allem Lebendigen zugrunde liegt. Die Lebenskraft, ähnlich dem Qi in der asiatischen Denkweise. Hildegard war der Auffassung, das kraftvolles Leben überall dort möglich ist, wo das Grüne geschätzt und genutzt wird. Auf Wiesen, in Wäldern, Gärten, kurz in der Natur. Wenn wir uns in Ihr bewegen und uns mit Ihr beschäftigen, durchdringt uns die Grünkraft, die heilende Lebensenergie.‘

Diesen Ansatz fand Blaue Feder spannend. Wenn sie sich in der Natur aufhielt, durchströmte sie diese Grüne Kraft. Diese Energie des Lebendigen pulsierte dann in ihr und vermochte sie zu heilen – machte sie auf jeden Fall glücklich. Diese Grünkraft, die in allen Dingen zu finden ist, war wohl die tatsächliche Basis unserer Gesundheit. Manchmal raubte Blaue Feder der Arbeitsalltag ihre Grünkraft. Da half nur ein ausgedehnter Spaziergang, um alle ihre Zellen wieder Grün anzumalen.

Sie sah schon die Knoblauchrauke ihre Blätter aus der Erde strecken, das Schwalbenkraut, den Löwenzahn, die Brennnesseln, die Akelei, das Scharbockskraut. Ein paar Gänseblümchen lachten sie an und auch die Schlüsselblumen streckten zarte Blätter hervor, als wollten sie erst einmal ertasten, ob es schon Frühling war.

Sie ging in den Wald, wo die vielen Veilchen wohnten. Sie durfte sich zwei Hände voll mitnehmen. Damit wollte sie sich ein Veilchen-Öl für ihre blauen Flecken ansetzen.

Blaue Feder merkte, wie sie das Thema Heilung immer mehr ansprach. Am Morgen kamen Taiga und Max zum Frühstück. Max, dem Kater ging es wieder schlechter, er war wie sie selbst, schwach auf der Brust. Blaue Feder hatte nach ihrer Corona-Erkrankung Probleme mit der Atmung. Auch Brauner Bär war immer wieder kurzatmig und erschöpft. Vielleicht könnte sie sich und den Katzen noch einen Duftveilchen Tee aufbrühen.

Als sie Max das Fell kraulte, spürte sie, es war die Liebe, die heilt und die Liebe steckte in allen Pflanzen, auch in den kleinen Duftveilchen. Es war wohl an der Zeit es selbst in die Hand zu nehmen. Sich freizumachen von synthetischen Angeboten und sich der Natur anzuvertrauen. Sie merkte, wie die Pflanzen auf verschieden Ebene halfen, seelisch, körperlich und geistig. Hier tiefer zu tauchen, war bestimmt spannend.

Sie schaute, ob das Lungenkraut schon blühte. Sie hatte es im vergangenen Jahr im Wald gefunden und es half auch bei Atemwegsproblemen. Das Lungenkraut wollte sie gerne in ihrem Garten ansiedeln.

Sie kam bei dem kleinen beim Acker vorbei. Das Tor stand weit offen.

Zum Neumond hatte sie begonnen einige Gemüse-Pflanzen für ihre Frühbeete vorzuziehen. Ein Blaumeisen-Paar hatte ihre Gesellschaft geleistet. Es hatte schon den Nistkasten an der Milchkammer bezogen. Ihr war momentan sehr nach bodenständigem Dinge, wie in der Erde buddeln. Die Energien waren so aufreibend, der ständige Wetterwechsel nervte, da brauchte es eine gute Erdung. Alles kopflastige war ihr grad zuwider.

Als die Pflänzchen aus der dunklen Erde sprossen, sah sie wieder, diese Grünkraft.

Sie hatte Ideen ihre Heilkräuter-Beete neu zu gestalten. Ihr Garten war nicht groß und sie wollte den Platz, den sie hatte, besser nutzen. Es hatten sich viele Pflanzen von ganz allein bei ihr eingefunden und ein paar wollte sie noch kultivieren, weil einige, wie zum Beispiel das Lungenkraut, nur in kleinen Mengen im Wald vorkamen.

Sie ging weiter zur Weißdornwiese. Auf einem Baumstamm wurde ihr eine alte Kräuterfrauen-Geschichte erzählt. War es eine alte Geschichte? Blaue Feder hatte den Eindruck immer mehr Menschen entdeckten ihre alte Liebe zu den Pflanzen wieder. Hildegard von Bingen erwähnt den Weißdorn gar nicht. Vielleicht gab es ihn in ihren Breitengraden, wo sie einst lebte, nicht. Blaue Feder liebte den Weißdorn, da kamen wohl ihre irischen Wurzeln durch. Gerade der Alten vom Weißdorn hatte sie vieles zu verdanken. Für sie war der Weißdorn eine große Heilerin.

So war es mit den Pflanzen. Es war eine sehr individuelle Geschichte Ein Kraut, was für den einen gut war, sprach die andere nicht an. Deshalb fand sie es wichtig mit den Pflanzen, die sie ansprachen, zu meditieren – in Austausch zu gehen, um herauszufinden, wo war eine Resonanz und wo vielleicht nicht.

Manchmal begleitete sie ein Kraut eine Zeit lang und dann nicht mehr. Jahrelang war der Rosmarin wichtig für sie – sie hatte ein stattliches kleines Bäumchen im Garten und nun war er plötzlich eingegangen.

Sie ging zur alten Holler und plötzlich kam ihr in den Sinn, dass sie vielleicht Shamira war.

‚Bist Du Shamira‘, fragte sie die alte Holler und der alte Baum lächelte sie nur an.

Sie ahnte, Shamira war sowohl ihre innere Heilerin, wie auch die alte Holler.

Der Hollerbaum war die andere große Heilerin, die sie kennenlernen durfte. Blaue Feder musste weinen. Sie weinte oft bei der alten Holler, aber mehr aus Berührung, als aus Traurigkeit. Wieder durfte sie sich ein paar Pilze mitnehmen. Sie würde auf dem Rückweg sich ein paar Kräuter sammeln für eine kräftige grüne Kräutersuppe.

Sie kam beim Spindelbaum vorbei und grüßte herzlich. Dann ging sie weiter zum Schlehengang. Die Schlehe war die Dritte im Bunde, die für Blaue Feder wichtig war. Im Schlehengang, wo auch Weidornbäume standen, ließ sie immer etwas Altes zurück. Es war wie eine energetische Reinigung von allem Fremden, von allem was nicht zu ihr gehörte und was überholt war.

Hinterher sah sie die drei Schwestern am Himmel fliegen und sie sangen:

Wir sind der Schwestern Dreie

Ihr kam die Idee, sich vielleicht ihr eigenes Kräuter-Medizinbuch anzulegen, mit allen Erfahrungen, die sie über die Jahre gesammelt hatte. Vielleicht konnte sie das eine oder andere Rezept noch einmal ausprobieren, das würde die KartoffelSau freuen. Sie war noch nicht so viel zu Wort gekommen. Sie liebte es, in der Küche zu stehen und den Löffel zu schwingen. Wer weiß, vielleicht konnte sie zusammen mit der Freundin einige Rezepte ausprobieren.

Wieder daheim setzte die Veilchen in Öl an. Sie hatte noch ein bisschen Mandelöl, aber Olivenöl war genauso gut. Dann kochte sie aus den gesammelten Kräutern – Knoblauchrauke, Brennnessel, Löwenzahnblätter, Gänseblümchen zusammen mit den Holler-Pilzen und ein paar Kartoffeln eine leckere Kräutersuppe.

Als sie nun ihre Geschichte aufschrieb, kam der Kernbeißer in ihren Garten.

‚Na, kommst Du langsam zum Kern der Geschichte?‘

Da stand am Anfang des Jahres die Frage nach ihren Medizin-Gaben im Raum und sie gestaltete das Medizin-Buch mit den Kraft-Karten und nun kamen die heilenden Kräuter dazu. Es gab wohl einen Faden, dem sie folgte, und der sich langsam zu einem erkennbaren Muster verwebte.

Der Füchsin auf ihrer Karte erinnerte sie an Arthur, den Fuchs, der sich in seiner Geschichte auf die Suche nach einem bestimmten Kraut macht, das ihm gut tat.

Kommt gut in den April, wo jede und auch jeder machen kann, was sie und auch er machen will.

5 Kommentare zu „Die Silberfüchsin

Hinterlasse einen Kommentar