Das leere Zimmer

In der Nacht träumte Blaue Feder von einem leeren Zimmer. Ein helles Zimmer mit weißen leeren Wänden und nur mit ihrem Bett darin.

Zuvor war sie in einem Einkaufsladen. Er war neu eingerichtet, aber die Vielfalt überforderte sie. Sie ging wieder hinaus, ohne etwas zu kaufen. Dann war sie auf dem Land und dort gab es dieses große Wohn-Projekt, in dem sie sich das leere Zimmer anschaute. Sie besuchte auch die Zimmer anderer Mitbewohner. In einem Zimmer hingen lauter Postkarten aus der ganzen Welt an einer Pinnwand. Neben ihrem Zimmer, wohnte eine junge Frau, deren Raum vollgestellt war mit Bücherregalen. Die junge Frau freute sich, dass Blaue Feder nun in dieses große Haus mit den vielen Räumen einziehen wollte.

Im Traum ging sie noch ein Stück des Weges und sah in dem Fenster eines kleineren Hauses eine Frau mit Trommel sitzen. Sie kannte die Frau und freute sich über ein bekanntes Gesicht. Sie gingen den Weg nun ein Stück gemeinsam und die Landschaft floss in sanften Hügel dahin.

Die Frau fragte sie, wofür sie das Zimmer brauchte, hatte sie doch schon eine kleine Wohnung in der Großen Stadt und ein sehr großes Haus auf dem Land – eine gute Frage!

Mit dieser Frage wachte Blaue Feder auf. Da war wohl eine Sehnsucht in ihr nach Stille und Leere.

Blaue Feder dachte zurück an das Geschichten-Seminar. Sie hatten sich zuerst die Schöpfungsmythen angeschaut. Blaue Feder hatte das Geschichtenhaus in ihrem Zimmer aufgehängt und sie schaute sich noch einmal ihren ersten Raum an. Sie hatte eine Wurzel hineingehängt, einen Schlüssel, den kleinen Skarabäus und einen Seehund. Was sagten diese Dinge über den Anfang ihrer Geschichte aus?

Schöpfungsmythen erzählen, wie es angefangen hat. Wie sind wir in dieses Leben gekommen? Wie ist das Dorf oder das Land enststanden, in dem wir wohnen? Da gibt es die großen Schöpfungsgeschichten, wie die Genesis, die Edda oder die Bhagavaghita und es gibt unsere kleinen Schöpfungsgeschichten.

Welche Geschichte erzählen wir über uns selbst? Wie hat es angefangen? War es eine schwierige Geschichte? Oft stehen am Anfang einer Geschichte Konflikte und vielleicht gibt es eine Geschichte, die noch offen ist und unbefriedet?

Fragen sind immer gut! Fragen führen uns auf gute Fährten.

Blaue Feder dachte zurück an ihren Traum mit dem Gasthaus und den ‚vielen‘ Tischen, die alle vollgemüllt waren und nun träumte sie von einem leeren Zimmer. Dieses Thema mit dem ‚Vielen‘ und der ‚Leere‘ begleitete sie schon lange. Hatte sie mit dem Thema schon ihren Frieden gefunden?

Auf dem Geschichtenseminar fing sie an dieses Thema zu betanzen. Sie stellte sich mit dem Gesicht in den Norden, sah dieses Gasthaus mit den vielen Tischen und bekam den Impuls aufzuräumen. Sie fing an zu tanzen und tanzte mit dem Thema in den Osten. Sie spürte das Feuer des Ostens, es kam Bewegung in sie und sie spürte ihre Lebendigkeit. Dann schaute sie in den Süden und sie schaute noch einmal zurück in ihre Geschichte. Sie sah das Mädchen, das sie einst war und sah, wie es nicht wirklich willkommen war. Sie sah, wie viel von außen auf sie einflutete. Sie nahm die Kleine in den Arm und sie spürte die Liebe in ihrem Herzen und wie sich die Energien wandelten und die Liebe nun von Innen nach Außen floss. Sie tanzte weiter in den Westen und traf auf eine Alte, die auf einem Fels saß und sie spürte Ruhe, Stille und Frieden in sich.

Dann schaute sie noch einmal in den Norden und sie hörte den Satz in sich

‚You are beautifull‘ und ‚Du bist Gast in Deinem Haus.‘

Sie war am Abend aus der Großen Stadt heimgekehrt auf den Schwalbenhof. Auf dem Bahnhof hörte sie einen Austernfischer rufen. Sein Ruf war unverkennbar und bald sah sie ihn. Der Austernfischer und sie waren im vergangenen Jahr gute Freunde geworden. Er erinnerte sie daran, sich liebevoll in den Arm zu nehmen und gut für sich selbst zu sorgen.

Blaue Feder hatte gerade einen Konflikt mit ihrem Brotjob. Sie hatte diese Woche das Gespräch gesucht mit ihrem neuen Chef und ihrer alten Chefin. Sie war völlig abgesoffen in ihrem Job und teilte ihnen mit, dass es so nicht weitergehen konnte. Es war ein konstruktives Gespräch. Als Blaue Feder erzählte, merkte sie, wie ihr beim Reden die Luft wegblieb. Sie musste immer mal eine Pause einlegen. Die Kurzatmigkeit fiel ihr schon länger auf. Gemeinsam wurde überlegt, was geändert werden konnte. Allein es ausgesprochen zu haben, fühlte sich schon etwas leichter an, auch wenn es noch viel aufzuräumen gab.

Nach und nach räumte sie auch den Schwalbenhof auf. Wo kamen bloß all die Dinge her? Am Morgen war ihr Kleiderschrank an der Reihe und die Winterklamotten wurden weggehängt. Manchmal wusste sie garnicht, wo anfangen mit aufräumen. Beim Frühstück fragte Brauner Bär, ob sie denn nicht das Dörpsblatt gelesen hätte. Am 23. April gab es von 10 bis 16 Uhr in ganz Ostrohe einen Flohmarkt. Alle konnten mitmachen. Eine tolle Idee, da würde sie sich glieks mal anmelden. Vielleicht konnten sie den Erlös für die Ukraine spenden.

Sie hatte die Tage auch ihr Handy aufgeräumt und einfach alle Apps gelöscht und dann – dann war Stille. Keine Meldung ploppte mehr auf, nur noch Anrufe und Nachrichten von echten Menschen.

Seit Blaue Feder angefangen hatte, die Geheimnisse ihres Ortes zu erkunden, hatte sie gemerkt, dass sie eigentlich immer weniger von allem brauchte. Als sie am Abend den Müll rausstellte, lachten sie die Duftveilchen an. Die Duftveilchen schenkten ihr 13 Blüten und sie brühte sich einen Tee auf. Ihr wurde gleich ein bisschen leichter ums Herz.

Sie saß am Fenster, die Sonne schien, sie schlürfte ihren Duftveilchenblüten-Tee und lächelte wenn sie auf eine der Blüten biß. Es fühlte sich gerade friedlich in ihr an. Sie schrieb ihre erste Geschichte in ein neues Tagebuch. Es war ein schön eingebundenes Buch, über dessen Seiten sie gerne strich. Ein Tagebuch war für sie auch wie ein leeres, stilles Zimmer mit weißen Wänden.

Draußen flogen ein paar Schmetterlinge vorbei, ein Zitronenfalter und ein Brauner Fuchs. Sie schaute ihnen zu, mit welcher Leichtigkeit sie durch ihren Garten flogen.

Das Seminar zur Geschichtenheil-Kunst von Cambra Skadé gibt es jetzt als Online- Selbstlernkurs. Blaue Feder hatte es sich gerade selbt bestellt, um noch einmal tiefer zu tauchen.

https://aufdemweg.de/geschichtenheilkunst

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