Wie geht Nichts-Tun?

Die Sonne war bereits in den Stier weitergewandert. Es war die Tage mächtig abgekühlt. Blaue Feder ging der Traum mit der Alten nach und sie fragte sich in ihrem Herzen:

Wie geht Nichts-Tun?

Am Frei-Tag zog es sie hinaus aufs freie Land. Sie traf den Winterläufer. Er hatte vergessen seine Mülltonne rauszustellen. Nun schaute er bei den Nachbarn, ob die Müllabfuhr schon dagewesen war. Sie lachten sich an und sie erzählte, dass sie auch oft vergaßen die Mülltonnen rauszustellen. Sie wünschten sich einen schönen Tag.

Der Anblick auf der weiten Flur machte Blaue Feder erst einmal traurig. Die Bauern hatten die Wassergräben ausgebaggert und überall lagen die herausgerissen Weiden auf den Feldern. Sie konnte die Bauern verstehen. Es hatte viel geregnet und das Land stand im Wasser und es brauchte die Gräben. Aber sie trauerte auch um die Weiden. Diese trösteten sie: Wir sind unverwüstlich und kommen schon wieder. Auch die Grassoden mit ihren wilden Haaren nickten ihr aufmunternd zu.

Die Gänse erzählten laut schnatternd, dass ein Räuber ihnen ein Ei gestohlen hatte. Sie fand es auf dem Weg.

Kiebitze flogen über das Land und in Blaue Feder stellte sich trotz der traurigen Nachrichten ein Gefühl von Freisein ein. Eine Fette Henne lachte sie an und sie ahnte, nun wurde es spannend.

An einem Wassergraben sah sie von Weitem ein Fellbüschel und dachte erst, es wäre vielleicht ein Hase. Das Fellbüschel lief nicht weg und so schaute sie es sich genauer an. Sie sah, wie es sich vertrauensvoll an die Erde drückte und sein Herz pochen. Es war ein Reh.

Es war merkwürdig, dass es nicht wie seine Schwestern und Brüder davonlief.

Es war der normale Instinkt, wenn Gefahr drohte wegzulaufen oder bei anderen Tieren anzugreifen. Es vertraute sich wohl Mutter Erde an, bis die Gefahr vorübergezogen war. Blaue Feder sagte ihr, dass von ihr auch wirklich keine Gefahr ausging. Sie fragte sich, ob es vielleicht Hilfe brauchte, aber es machte nicht den Eindruck. Sie würde auf dem Rückweg noch einmal nachschauen.

Das Verhalten des Rehes wunderte sie und sie fragte sich, wie reagierte sie auf Konflikte? Wollte sie nicht auch am liebsten weglaufen. Oft geriet sie in einen wilden Aktionismus. Wie wäre es, wenn sie nicht gleich alles ändern wollte, sondern sich mit dem, was sie nicht wollte, verband und in Ruhe nachspürte? Wenn sie einfach nur atmete und wahrnahm.

In der vergangenen Woche gab es wieder einen Konflikt mit der Chefin, die ihr eine unmögliche Mail schickte. Sie spürte in Ruhe nach und fühlte sich aber nicht angegriffen. Sie reagierte auch nicht gleich, wartete eine Nacht ab und am kommenden Tag kam ein Anruf mit einer Erklärung, wie es zu der schrägen Mail gekommen war und es löste sich in Wohlgefallen auf. Vielleicht ging es darum, aus einem alt gewohnten Muster auszusteigen. Wenn das Reh es konnte, dann sie es doch wohl auch.

Sie ging weiter durch den Weißdornhain und sah wieder die anderen drei Rehe, die sie an die BroklandSau lockten. Vor ihr lag eine feuchte Wiese. Gerne hätte sie die Schuhe ausgezogen und wäre barfuß durch die matschige schwarze Erde gelaufen. Aber es war doch ziemlich kalt und so wollte sie lieber testen, ob die neuen Schuhe wasserdicht waren – und tatsächlich, sie waren es!

Im Gras sah sie vereinzelt das Wiesenschaumkraut blühen und Erinnerungen an ihre Elfe Frida kamen hoch. Eine Schnecke riet ihr langsam zu machen. Sie kam an die BroklandSau, dem Fluss, der durch ihr Tal floss. Sie floss mit ihr. Für sie war dieser kleine Fluss die wilde Alte, die sie um Rat fragen konnte. Sie ging zu ihrer Lieblingsstelle und lauschte.

Der Fluss fragte sie: Wofür brennt Dein Herz?

Prompt antworte sie: Für das Land!

Sie dachte an Tiffanny Weh und ihr Kreideland und wie viele Tests sie durchlaufen musste, bis die anderen Hexen, sie als echte Hexe anerkannt haben. Ihr Land war diese Moorlandschaft mit seiner schwarzen Torferde, dessen Geschichten sie erzählte. Sie hatte schon viele Geschichten über das Land, seine Pflanzen, seine Bäume, seine Vögel, Tiere und Menschen geschrieben. Vielleicht war es an der Zeit, es mehr zu vertiefen.

Dann konzentriere Dich darauf. Tue das, was du liebst. Dein Brot-Job schuckelt sich von allein zurecht. Es ist gut, wenn Du die Leitung abgibst. Dort können die Jüngeren übernehmen. Dein Platz ist hier.

Blaue Feder bedankte sich bei dem Fluss. In einem Gänsenest entdeckte sie neun Federn.

Kümmere Dich um Dein Nest.

Durch die weiche Wiese zu laufen und in der tiefen schwarzen Erde zu versinken, erinnerte sie an die Dünen auf Amrum. Es war anstrengend und gleichzeitig gab es ihr Kraft. Sie atmete die frische Luft und spürte wie gut es ihr tat.

Sie kam wieder zu den alten Weißdorn-Bäumen und hörte sie raunen:

Wir sind gut für dein Herz. Hattest Du im Herbst nicht einen Weißdornlikör angesetzt.

Na, wenn ich den trinke bin ich doch gleich betrunken.

Du sollst ja kein Glas trinken. Es ist eine Medizin. Tue ab und an mal einen Teelöffel auf ein großes Glas Wasser. Es tut Dir und Deinem Herzen gut.

Blaue Feder bedankte sich bei den Bäumen und ging heim. Sie schaute noch einmal nach dem Reh, aber es war nicht mehr da. Auf dem Rückweg beobachtete sie noch, wie die Kiebitze ihr Nest gegen Krähen verteidigten und fand sie mutig. Nun ahnte sie, wer sich das Gänseei gehohlt hatte.

Blaue Feder wusste nicht, ob sie das mit dem Nichts-Tun schon verstanden hatte. Vermutlich würden sich ihr viele Gelegenheiten bieten, es zu üben.

Brauner Bär wartete bereits mit dem Frühstück. Sie wollten anfangen die Scheune für den Flohmarkt herzurichten. Als sie die Wohnung in der großen Stadt aufgelöst hatten und Brauner Bär ins Krankenhaus kam, hatte Blaue Feder viele Dinge, die im Keller ihr Dasein fristeten einfach nur in Kartons getan, ohne sie zu sichten. Alles was sie dort gefunden hatte, gehörte nicht ihr, es gehörte zu den Menschen, die mit Brauner Bär gelebt hatten, in einer Zeit bevor sie sich kennengelernt hatten. Jetzt packte sie die Kisten aus und wunderte, was alles zum Vorschein kam. Da waren so einige wunderliche Flöhe darunter, wie altes Zinnspielzeug, eine orientalische Armee mit Giraffe samt Hofstaat, eine Jagdgesellschaft, eine Barbie-Sammlung und vieles mehr. Alte Dinge erzählen Geschichten von Menschen, die einst lebten.

Blaue Feder war berührt, weil viele Dinge fein säuberlich in weiches Papier eingewickelt waren. Es kam ihr vor als würde sie einen Schatz heben. Sie selbst hatte alte Kostüme ausgemustert und vieles mehr, so dass sich ein feiner Flohmarkt in ihrer Scheune ausbreitete.

Blaue Feder war verzaubert von einem winzigen Holz-Ei, in dem sie eine noch winzigere Puppe zum Vorschein kam. Brauner Bär behielt ein kleines Kanonenauto aus Holz. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die uns begeistern.

Sie fragte sich auch, was wohl die Geschichten dieser drei kleinen Puppen war.

Auf dem Blog von Arte Dea fand sie eine schöne Erklärung zu den Puppen https://artedea.net/xmucane-maismutter/

Es gibt in Guatemala eine Geschichte, dass einst eine wunderschöne Prinzessin lebte, zu der jeden Tag die Menschen mit ihren Sorgen kamen – sie kannten keinen anderen Ort, an dem ihre Probleme besser aufgehoben waren. Sie selbst führte ein sorgenfreies, leichtes Leben und empfand Mitleid mit all den Menschen, denen es anders als ihr erging.
Der Sonnengott höchstpersönlich hatte ihr die Gabe verliehen, die Probleme aller Menschen lösen zu können. Immer wieder stellte die Prinzessin fest, dass sie den Sorgen der Menschen gute Lösungen schenken konnte. Diese Gabe erfüllte die Prinzessin zunehmend mit Glück. Doch es wurden immer mehr Menschen, die zu ihr kamen mit ihren Sorgen und sie konnte den Ansturm bald nicht mehr bewältigen. Da wandte sie sich an die Maismutter. Diese hatte ja schließlich Menschen geschaffen, die nun nicht immer fröhlich und glücklich waren.
Xmucane, die Maismutter überlegte, wie sie das bewerkstelligen könne und erfand daher die sogenannten Sorgenpüppchen. Diese waren winzig kleine, aus Mais gefertigte Püppchen, die die Prinzessin fortan den Menschen übergab. Erzählt man ihnen am Abend seine Nöte und Sorgen, kümmern sich die Püppchen, wie einst die schöne Prinzessin, über Nacht um alle Probleme, um sie am nächsten Morgen gelöst zu haben.
Es darf aber pro Püppchen immer nur eine Sorge ausgewählt werden, sonst wird ihn die Arbeit zu anstrengend. Man muss dem Püppchen nach Übergabe der Sorge immer ganz zärtlich den kleinen Bauch streicheln, sonst bekommt es in der Nacht Schmerzen, wenn es die Sorge verdaut. Dann steckt man alle Püppchen gemeinsam in ein Säckchen und legt es unter das Kopfkissen. Am nächsten Morgen sind die Probleme zwar nicht immer ganz verschwunden, aber häufig doch schon viel kleiner.

Im Laufe der Zeit verschmolz in den Mythen die Prinzessin mit der Göttin Xmucane, es scheint, als hätten sich die Menschen mit ihren Sorgen direkt an die Maismutter gewandt. Die Tradition mit dem Sorgenpüppchen gibt es immer noch. Sie verhelfen vor allem Kinder, die in der Nacht Angst haben, zu einem guten Schlaf. Aber auch Erwachsene können ihnen ihre Probleme anvertrauen, um eine ruhige Nacht zu haben und nächsten Morgen glücklich aufzuwachen.“

Ihre kleine Puppen-Sammlung erinnerte sie sehr an die Puppe von Vasalisa, der Weisen. Nun hoffte sie, dass am Sonntag ein wenig die Sonne scheinen würde, sonst müssten sie sich warm anziehen. Sie freute sich auf den Flohmarkt und war gespannt, welche Geschichten ihre Flöhe erzählen würden.

2 Kommentare zu „Wie geht Nichts-Tun?

  1. Barbiepuppen original verpackt, könnte Geld bringen.
    Ich würde es nie so sammeln und in die Vitrinen stellen.😉
    Aber manche sammeln halt nur um irgendwann Geld daraus zu machen.
    Ich sammle weil mir etwas gefällt oder so.💗

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    1. Liebe Anne, ich hätte gerne die Frau gefragt, warum sie die Barbiepuppen gesammelt hat. Leider ist sie schon gestorben. Ich weiß, dass sie als Austauschschülerin in Amerika war. Vielleicht ist ihre Passion dort entstanden. Sie stehen im krassen Gegensatz zu ihrer Kunst, war sie eine wunderbare Steinbildhauerin und in ihrer Kunst eher minimalistisch. Ich finde es spannend, daß die Kiste jetzt aufgetaucht, wo Barbie wieder aktuell ist. Wer weiß, vielleicht findet sich der eine oder die andere Liebhaberin. Der Flohmarkt bei uns im Dorf ist mehr wie ein Fest und uns geht es mehr um die Freude, als ums Geld. Ich sammel gerne Geschichten und bin gespannt, welche Geschichten unsere Flöhe wachrufen. Ich hatte in jungen Jahren auch eine Barbie, der ich ständig neue Kostüme gehäkelt und genäht habe. So hat sich meine Leidenschaft als Kostümbildnerin entwickelt. Insofern hat sie auch in meinen Leben eine tragende Rolle gespielt. Ich hoffe nun auf ein paar Sonnenstrahlen und wünsche Dir einen schönen Sonntag. Herzensgrüße Susanne

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