Goldenbaum III

Blaue Feder ging doch nicht leer aus. Nikolo schenkte ihr einen schönen Tag. Vater Sonne schien warm und es war, als würde ihr das männliche Prinzip der Natur ans Herz gelegt. Ein Adler kreiste über dem Tal der alten Ullra. Der Silberreiher saß still in den Wiesen im Mittelpunkt ihrer Runde.

Sie ging hinaus auf das freie Land und dort rasteten ihre Schwestern die Graugänse in Begleitung vieler Silberreiher. In stiller Erwartung saßen sie gemeinsam an Rande der alten Ullra. Das war ein Anblick, der ihr Herz öffnete. Blaue Feder ging nicht näher heran, das Lauschen nicht zu stören.

Sie ging zur alten Hasel, die das Weibliche und Männliche in sich vereint. Diesmal war es ihr, als würde in den verbliebenen grünen Blättern, der Grüne Mann ihr die Hände reichen.

Die weibliche Natur kam nie alleine daher. Stets wurde sie begleitet von ihrem Heros, dem Gehörnten, dem Sonnenhirsch, der gerade seine Reise durch die Unterwelt machte. Er war der Geliebte an ihrer Seite, der Grüne Mann und der weise alte Mann im Winter, der die weibliche Schöpfungskraft ehrt. Mutter Erde und Vater Kosmos bilden eine Einheit. Blaue Feder hatte auch einen liebevollen Partner an ihrer Seite. Er schickte ihr an diesem Tag die Einladungskarten für das offene Atelier im kommenden Jahr. Manchmal schenkte ihr das Leben vielleicht nicht das, was sie erwartete und doch das, was für sie als Lebenserfahrung wichtig war. Am Abend leuchtete Mutter Mond am Himmel, fast rund und in stiller Erwartung der heilsamen vollen Luna.

Doch wie ging es mit ihrer Geschichte in Goldenbaum weiter…

Der Serrahner Wald

Nach einem schönen Frühstück auf ihrer Veranda, schnappten sie sich die Fahrräder und fuhren Richtung Carpin. Das Fahrrad von Brauner Bär war etwas zu klein für seine Größe, doch einen Nimbus Schlüssel fanden sie nicht und der Sattel der Blauen Feder war mächtig hart. Ihr ging schon auf den ersten Metern die Puste aus. Brauner Bär ging es nicht viel anders. Nach ihrer Corona-Erkrankung waren sie immer noch ziemlich kurzatmig. Allein von daher, würde ihnen der Aufenthalt im Wald guttun. So fuhren sie tapfer weiter und ließen sich einfach Zeit.

Kurz vor Carpin ging es in den Serrahner Wald. Die Sonne kam heraus, aber im Wald war es angenehm kühl. Bald kamen sie zum Kesselmoor, welches mit schönen Seerosen übersät war. Dem Moor schloss sich der obere Teil vom Schweinegartensee an. Das Wasser glitzerte in der Sonne und der Flug der Libellen verzauberte sie. Nun war es nicht mehr weit bis Serrahn, einer kleinen Ansammlung von fünf Häusern mitten im Wald. In zwei Häusern gab es Fotoausstellungen zum Serrahner Wald und eines war ein Gästehaus. Roland Ranger und seine Geschwister waren in Serrahn aufgewachsen. Seine Schwester wohnte immer noch dort in einem kleinen verwunschenen Haus und betrieb ein Café.

Am Eingang zum Café hockte die Fliegenpilzfrau und lächelte sie an. Das hätte ihnen schon komisch vorkommen können, doch nach der Begegnung mit dem Einäugigen, waren sie nicht mehr so verwundert. Im Café gab es keine Preisliste, jeder gab, was ihm der Kaffee und der Kuchen wert war. Eine feine Sache und Kuchen und Kaffee waren sehr lecker. Auf einem Schmetterlingsstrauch machte ein Kaisermantel seine Aufwartung. Sie hatten noch nie einen Kaisermantel gesehen und so bestaunten sie den großen Schmetterling. – Und war es der Duft des Fliegenpilzes, der Kuchen oder der Kaffee der Schwester, sie waren wie verzaubert, schrumpften auf Wichtelgröße und schon flog der Kaisermantel mit ihnen fort. Er flog mit ihnen durch einen Hohlweg, durch den schon viele Wildschweine gelaufen waren. Sie sahen ihre Spuren, aber Wildschweine selbst, sahen sie nicht.

Der Kaisermantel flog mit ihnen mitten in den Wald und dort waren zwei Hängematten zwischen die Bäume gehängt. Er ließ sie absteigen und sie durften sich in die Hängematten legen und ausruhen. Sie ließen die Seelen baumeln, schlossen die Augen und lauschten dem Ur-Laub im alten Buchenwald. Sie verstanden nicht alles, was ihnen dieser Zauberwald zuflüsterte, doch lauschten sie seinem Lied mit ihren Herzen.

Nach einer Weile flog der große Schmetterling mit ihnen zu einem Adlerausguck. In der Ferne sahen sie auf einem See zwei Schwäne schwimmen, wie zwei Engel. Einen Adler sahen sie nicht. Sie schauten auf eine Landschaft, die einst ein großer See gewesen war, der trockengelegt worden war, um das Land zu bewirtschaften. Doch nun holte sich die Natur alles zurück und so wuchsen hier schon viele Birken und kündeten den Wandel an.

Der Kaisermantel brachte sie zurück zum Haus der Schwester. Hier stiegen sie ab und verwandelten sich wieder in ihre normale Größe. Sie bedankten sich für den schönen Ausflug. Dann stiegen sie auf ihre Räder und machten sich auf den Heimweg. Zurück ging alles schneller, weil sie den Weg schon kannten.

Am Schweinegartensee lag eine Blindschleiche auf dem Weg und döste in der Sonne. So hielten sie noch einmal inne und bestaunten diese kleine goldene Schlange, die keine Schlange war, sondern eine Echse. Die Blindschleiche war auch nicht blind. Sie hatte im Unterschied zu Schlangen Augenlider und konnte ihre Augen schließen. Das Wort ‚blind‘ stammte wohl eher von ‚blendend‘ ab, denn die Jungtiere leuchten silbern und golden, während die älteren Tiere eher grau daherkommen. Die Blindschleiche kroch langsam weiter, war sie nicht so agil wie eine Schlange. Diese fragilen Wesen leben eher im Verborgenen. Sie tun niemanden etwas zu leide, können sie nicht einmal beißen. So haben sie viele Fressfeinde. Geraten sie in Not, können sie ihren Schwanz abwerfen, der dann, wenn auch nicht in voller Länger, nachwächst.

Was wollte ihr dieses zarte Wesen aus der Traumwelt sagen?

Leise hörte sie das Wispern der goldenen Schleiche in ihrem Herzen:

‚Träume Deinen Traum weiter!‘

Die Worte klangen in ihr nach, als eine rote Libelle sich auf ihre Hand setzte und sie anstrahlte. Es war ihr, als würde die Libelle dem Satz noch einmal Nachdruck verleihen.

Sie schauten noch einmal über den Schweinegartensee und konnten ahnen, wie die Wildschweine ein Nickerchen im Schilf hielten. An einer Kreuzung nahmen sie einen anderen Weg, als am Morgen und folgten dem gelben Schmetterlingswegs, der sie nach Carpin zum Dianenhof brachte. Dort fanden sie ihren Weg zurück nach Goldenbaum.

Die frische Luft im Wald hatte ihnen gutgetan. Sie machten Siesta. Brauner Bär legte sich aufs Sofa und fing leise an zu schnarchen und Blaue Feder schrieb auf der Veranda das Erlebte in ihr Tagebuch. Die Nachbarn ihres Doppelhauses waren eingetrudelt. Urlauber, die schon seit Jahren an diesen zauberhaften Ort kamen. Nach einem Spaziergang kamen sie mit einer Krausen Henne zurück und erklärten Blaue Feder, wie sie diesen Pilz zubereiteten.

Dann schnappte sich Blaue Feder ein Buch – es hieß ‚Der Flug des Raben‘ und handelte von einem Indianer, einem Geschichtenerzähler, der seine Geschichte auf dem Weg zurück zu seinen Wurzeln erzählte und Blaue Feder tauchte in seine Geschichte.

2 Kommentare zu „Goldenbaum III

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