Einmal Wollgras satt

Nun war der glückliche Jupiter aus den Fischen in den Widder weitergewandert und läutete für sich eine neue 12-jährige Runde durch den Tierkreis ein. In der Nacht hatte es ordentlich geregnet und es hatte gut getan. Es war die Wochen viel zu trocken hoch oben im Norden. Sie atmete am Morgen die frische Luft ein, schnappte sich ein Buch der Erinnerungen aus dem Jahre 2010 und schaute noch einmal, wie sie in den letzten Jupiter-Zyklus aufgebrochen war.

Damals hatte sie ihre Wohnung in der Großen Stadt aufgelöst und hatte ihr Namensschild an den Schwalbenhof gehängt. So war sie von der Hambuger Deern zur Ostroher Nordfrau geworden und hatte angefangen ihren Traum von einem Leben auf dem Land hand-in-hand mit Brauner Bär zu leben. Damals war sie noch keine Silberfüchsin und es gab noch keinen silbernen Bart im Gesicht ihres Liebsten.

Wie ging sie diesmal in den neuen Zyklus?

Blaue Feder war gerade im zweiten Saturn-Return, Brauner Bär und viele ihrer Freunde hatten diesen Prozess schon gemeistert. Sie fragte sie, wie sie es gemacht hatten und lauschte ihren Geschichten. Sie fragte auch ihre innere Weisheit.

Trinke die Milch der Ziege‘ war ein Spruch, der ihr in einer Meditation gekommen war. Vor einem Jahr hatte sie im Traum eine große weiße Ziege hinter ihrem Haus angebunden und nun trank sie also ihre Milch, war die Ziege wohl das Begleit-Tier der alten Weisen.

Im Traum ging sie eine Liebesbeziehung mit einer älteren Frau ein. Diese ältere Frau war sie wohl selbst. Irgendwie zog sie schon seit einer Weile Bilanz, ließ alte Geschichten hinter sich und nahm ihr Leben mehr und mehr an, wie es war.

Welche Weichen wollte sie für das Leben im Alter stellen – vielleicht flauschige Wollgras-Weichen?

Vermutlich ging es darum, noch tiefer in die eigene Wahrheit zu tauchen. Sie verfügte über viele Erfahrungen. Sie konnte dem folgen, was ihr wichtig war und was sie für wert erachtete, für sich selbst und für andere.

Im Traum gab es ein Spiel. Es gab einen Kubus, in den sie hineingehen konnte. Es gab ein Buch mit vier Kapiteln und nun schrieb sie das 5. Kapitel. Es kam der Hinweis im Traum:

‚Lebe nicht die Sonne, sondern lebe das 5. Haus.‘

Das war spannend, auch wenn sie noch nicht wusste, was es bedeutete. Sie konnte es erforschen. Sie wusste nur, dieser glückliche Jupiter war in ihrem Fünften Haus in den Widder weitergewandert war. Was gab er ihr für einen Impuls? Das fünfte Haus war mit ihrer Herzenskraft, ihrer Kreativität und ihrer Schöpferinnenkraft verbunden. Ja, für ihre Kunst hätte sie gerne wieder mehr Zeit. Momentan blieb vieles angefangen liegen. Das gefiel ihr weniger.

Es fühlte sich grad an, als wäre sie im Puppenstadium eines Schmetterlings. Die Raupe Nimmersatt hatte sich satt gefressen, verpuppte sich und löste sich nun vollkommen auf und wurde zu einer Art Wasser. Aus diesem Wasser würde sich der Schmetterling formen. Sie hatte den Eindruck, dieser Prozess musste nicht von außen befeuert werden. Sie war mehr am Beobachten, Wahrnehmen, was geschah und nach Möglichkeit nicht bewerten. Es war ein Prozess, der sich verborgen in ihrem Inneren abspielte und irgendwann würde der Schmetterling seinen Kokon abstreifen.

Es war ein schöner Sonntagmorgen und die beiden Weltenbummler bereiteten ihr Frühstück vor, als Stardust und Delta von ihrer Reise aus dem Süden heimkehrten. Da war die Freude groß. Die beiden Mehlschwalben hatten viel zu erzählen von ihren Abenteuern. Sie begutachteten ihr Nest und mussten es auch gegen Eindringlinge verteidigen. Dann erzählten sie von ihren Abenteuern auf der großen Reise.

Blaue Feder kam in Abenteuer-Laune. Sie hatte auf Stefanies Blog ihre Erzählung vom Himmelmoor gelesen (https://www.indernaehebleiben.de/himmelmoor/) . Sie selbst waren im vergangenen Jahr im Himmelmoor und wollten dieses Jahr im Mai noch einmal wiederkommen, das Wollgras zu bestaunen. Zum Himmelmoor war es ihnen zu weit, aber Blaue Feder hatte gelesen, dass es im Dellstedter Birkwildmoor auch Wollgras geben sollte. So schlug sie Brauner Bär vor, einen Ausflug ins Birkwildmoor zu unternehmen, das nur einen Katzensprung von Ihnen entfernt war.

Sie hatte einen Flyer vom Dellstedter Birkwildmoor und so sahen sie, es gab bei Dellstedt das Nordermoor und das Ostermoor. Im Nordermoor entdeckten sie einen Wanderweg. So machten sie sich auf ins Dellstedter Nordermoor. Der ausgewiesene Parkplatz hinter Dellstedt war mal wieder kein richtiger Parkplatz. Dort lag aber ein großer Haufen Sand, der vielleicht einmal ein Parkplatz werden sollte, aber ihren Wagen konnten sie dort abstellen. Sie hatten eine Flasche Wasser mitgenommen, aber mal wieder keinen Rucksack. Blaue Feder hatte nicht einmal einen Hut mitgenommen und die Sonne schien warm. Da war sie wieder die Frage nach einem neuen Hut – vielleicht wäre es ein Sonnenhut?

Ein Paar Kanada-Gänse begrüßten sie im Moor.

Sie gagelten neben Gagelsträuchern los. Das Birkwildmoor lag weit vor ihnen und Blaue Feder sah in der Ferne weiße Flecken, die ihr Herz höher schlagen ließen.

Blaue Feder vermutete, alle Wollsammler würden beim Anblick von Wollgras in Verzückung fallen – vielleicht ging es aber auch nur ihr so. Wollgras erinnerte sie an Irland, erinnerte sie an ihren Clan der WollsammlerInnen. Wollgras gab ihr dieses wollweich-flauschige Gefühl von Zuhause-Sein.

Bald schon tanzte das Wollgras rechts und links neben ihr und säumte ihren Weg.

Ein Moorfrosch sagte: ‚Hallo!‘ und Blaue Feder erinnerte sich, dass sich die männlichen Moorfrösche zur Paarungszeit gerne blau verfärben, um ihre Angebetene zu beeindrucken. Ob sie wohl ein paar blaue Frösche sehen würden? Sie hörten die Frösche quaken und sie hörten auch einen Ruf, den sie gut kannten, sie hörten Kraniche rufen. Wie immer, waren sie sich nicht ganz sicher, aber eine gewisse Vorfreude machte sich in ihren Herzen breit.

Zunächst einmal wurde ihr Blick auf den Weg gelenkt, der von Bisamratten-Höhlengängen unterwandert war. Sie mussten also achtsam gehen, damit sie nicht in ein Loch traten. Brauner Bär sah auch eine Bisamratte im Gebüsch verschwinden. Sie waren also durchaus präsent.

Diesen Wanderweg zu gehen war ein Ohrenschmaus. Sie hörten fast mehr, als das sie sahen. Sie übten sich im Vogelstimmen-Raten. Einen Kuckuck hörten sie von Anfang an. Das Schwarzkehlchen wurde gesichtet und viele mehr. Manche Vögel erkannten sie an ihren Stimmen und manche nicht.

Besonders eindrücklich war das Konzert der Frösche, die immer verstummten, sobald sie näher kamen.

Manchmal hörten sich ihre Rufe an, als würde ein Verstärker bei einem Konzert angestellt – sonderbare Geräusche. Blaue Frösche sahen sie nicht, aber einige Frösche, die sie aus Moorteichen beäugten.

Die Landschaft war eigen und eindrücklich.

Der Weg zog sich lang hin und sie bedauerten, nichts zu trinken mitgenommen zu haben. Für ihr nächstes Abenteuer würden sie einen Rucksack mitnehmen. Blaue Feder entdeckte Sumpfblutaugen in großen Mengen. Im Ostroher Moor gab es nur zwei-drei Stellen, wo es noch wuchs. Wenn es blühte, hatte es rote Blüten.

Dann kamen sie zu einer Wege-Gabelung. Da war sie wieder, die Verunsicherung. Blaue Feder zeigte Brauner Bär auf der Karte, wo sie waren und wo sie lang mussten. Er war unsicher und schaute Leuten hinterher, die einen anderen Weg gingen. Dann wetteten sie um ein Spaghetti-Eis. Blaue Feder übernahm die Führung und die Verantwortung. Es ging nun ins offene Moorland. Die Sonne brannte heiß auf sie nieder und der Weg noch weit. Auf dem Weg lagen ‚Menschenknochen‘ und ein gerupfter Raubvogel. Spannung lag in der Luft. Waren sie jetzt dem Tod geweiht?

Der Blick über die weiten Wollgrasfelder war atemberaubend schön. Wollgras soweit das Auge reichte – einmal Wollgras satt.

Blaue Feder musste die Zweifel, die an ihr nagten, aushalten. Sie war den Weg noch nie gegangen, aber sie war eine gute Kartenleserin, wenn sie die Karte richtig rum hielt. Der Wind stand still und dann fielen auch noch die Mücken über Brauner Bär her. Sie mochten ihn gerne, was sie gut verstehen konnte. Nun versuchte es Blaue Feder mit Humor.

‚Unser Survival-Index steigt auf 7,9, sagte sie und beide mussten lachen.

Sie schauten in letzter Zeit manchmal die Nackten, die sich irgendwo im Urwald aussetzen ließen. Nun waren sie selbst nackt und Stund um Stund verloren sie viele Kilos im wilden Birkmoor. Das war wohl mehr Wunschdenken, als real. Im richtigen Urwald würden sie vermutlich nicht einen Tag überleben. Doch dann kam die Rettung. Zwei Kraniche kamen geflogen und brachten das Glück zurück. Sie hatten sich zu Beginn nicht verhört – es gab hier Kraniche.

Die Laune stieg wieder und Blaue Feder sah endlich den ersehnten Aussichtsturm. Sie hatten es geschafft, sie waren den ‚richtigen‘ Weg gegangen. Vom Aussichtturm hatten sie einen tollen Blick über das Moor und sie sahen noch mehr Kraniche.

Hier oben wehte ein erfrischender Wind. Den brauchten sie für die letzte Etappe ihres Weges. Mal wieder mussten sie, wie auf der Grünen Insel, das letzte Stück auf der Straße laufen. Blaue Feder fiel auf, wie wunderbar sie auf dem weichen Torfboden laufen konnte und wie schwer es ihr auf geteerten Wegen fiel. Dann gab es einen herzhaften Schluck aus der Wasserflasche. Ja, die Haare leuchtete nun silbern in der Sonne wie das Wollgras, aber die Abenteuerlust war geblieben, wenn auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Der Urwald musste es nicht mehr sein. Das heutige Abenteuer hatte ihnen vollauf genügt und sie mit wunderbaren Eindrücken versorgt. Blaue Feder war in ihr geliebtes Wollgras getaucht, war glücklich und satt.

In der kommenden Woche gab es dann für sie ein Spaghetti-Eis mit frischen Erdbeeren unterm Fernsehturm bei Planten und Blomen in der Großen Stadt.

– Am Abend sah Blaue Feder im Dunkeln die Schleiereule um das Haus fliegen. War es schon wieder soweit – ging es schon wieder auf die volle Mondin zu?

2 Kommentare zu „Einmal Wollgras satt

  1. Bei mir ganz nahe gibt es das Quelkhorner Moor- und besonders wenn das Wollgras blüht ist seine Schönheit überwältigend, gleicht einer Urlandschaft…Herzliche Grüße aus fast unmittelbarer Moornähe…sigrid

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