Nun war die Sonne weitergewandert in die Jungfrau. Nach dem Strahlen des Löwen kommt nun die Zeit der vorsorgenden und achtsamen Jungfrau. Unter dem Zeichen der Jungfrau wurde einst die Kornmutter und die Erntegöttin verehrt. Die Jungfrau bringt das Gewachsene und das Gereifte ein, macht es haltbar für den Winter und bewahrt die Schätze der Natur. Ihr ist es wichtig, die inneren Bedürfnisse und die äußere Realität in Einklang zu bringen – Ordnung zu schaffen für ein einfaches und erdverbundenes Leben. Der Spätsommer wird auch Altweibersommer genannt. Hier und dort fangen die Spinnen wieder an ihre Netze zu knüpfen. Sie ‚weiben‘ das silberne, feine Haar der alten Frauen und überspinnen das Land mit Herbstseide. Sie knüpfen, spinnen und weben den Faden.
Der Blaue Mond hatte sein Licht ausgeschüttet gemeinsam mit dem Jupiter.

Blaue Feder und Brauner Bär hatten ein trubeliges Wochenende. Der Samstag lockte mit seinem wunderbaren Sonnenschein viele Gäste auf den Schwalbenhof. Einige waren aber auch in den Staus auf den Straßen stecken geblieben. Es war eine ausgelassene Stimmung.
Blaue Feder las ein paar ihrer Geschichten vor. Es bereitete ihr Freude. Wie sagte die Freundin, sie war voll in ihrem Element und aus den Rückmeldungen vernahm sie, die Geschichten hatten einige Zuhörer berührt. Das gesprochene Wort war wohl noch einmal anders, als die geschriebenen Zeilen zwischen zwei Buchdeckeln. Sie saßen im Kreis und sie spürte wie das Vorlesen alle miteinander verband. Das war wohl der Zauber des Geschichtenerzählens. Blaue Feder freute sich, sie hatte sich getraut, war über ihren Schatten gesprungen und hatte sich ein neues Feld erobert.
Die Matrjoschkas auf ihrer Fensterbank standen nun auch nicht mehr in Reih und Glied. Da waren welche aus der Reihe getanzt. Vielleicht braucht es das ab und zu einmal, dass Eine aus der Reihe tanzte, über den Holzrand schaute und ihr Eigenes machte. Wenn Eine oder Einer sich traut neue Wege zu gehen, kann sich schon mal im Großen und Ganzen etwas verändern.
Das Neue wollte nun verinnerlicht werden. Sie wollte sich mit dem Neuen bekannt machen, es freudig annehmen, wachsen lassen, stärken und sich den Veränderungen hingeben, die das Neue mit sich brachte.
Fünf ihrer Bilder hatten LiebhaberInnen gefunden. Das war gut so, denn nun hatte sie das Geld für die alte schwarze Mooreichen-Stele wieder drinnen und obendrein noch ein bisschen Taschengeld für ihren Urlaub.
Ihr Urlaub begann dann mit strahlendem Sonnenschein. Der Himmel war so blau wie sonst nur in der kühlen klaren Frühlingsluft, aber nun in einem tiefgründigeren, satten Blau. Die Schwalben kreisten über den Schwalbenhof. Beim Frühstück hörten sie sie das Piepen von neuen Schwalbenkücken in einem der Schwalben-Neubauten. Vielleicht würden sie mitbekommen wie diese Schwalbenkücken flügge wurden?
Sie machten einen Ausflug ins Tal der Gieselau. Es roch schon nach den ersten Pilzen. Die Früchte des Waldes waren herangereift. Sie fand schon die ersten grünen Haselnüsse, grüne Eicheln und auch die Bucheckern würden bald reif sein. Das Licht hatte bereits seinen satten Herbstschein.
Blaue Feder erzählte der alten Wurzelbuche stolz, dass sie Geschichten vorgelesen hatte. Es war ihr, als würde es die Alte schon wissen. Die Bäume hatten es ihr wohl schon zugeraunt. Die alte Wurzelbuche strahlte sie an und freute sich mit ihr. Sie war selbst eine alte Geschichten-Erzählerin und Blaue Feder lauschte gerne ihren Geschichten. Eine Weile saßen so beieinander und die Sonne zauberte ihre Lichtspiele in die alten Wurzeln.
Sie gingen weiter ins Tal der Gieselau, denn Blaue Feder wollte es auch noch der Gieselau erzählen. Eine große rote Schnecke kreutzte ihren Weg. ‚Eile mit Weile‘ rief sie ihr zu.

Blaue Feder blieb bei einer Engelwurz stehen. Schmetterlinge begrüßten sie auf dem Blutweiderich.
Sie zeigten ihr hinter einer hohen Brombeerhecke ein verstecktes Tal der Schmetterlinge. Blaue Feder musste ihre Kamera ganz hoch halten, um über die Brombeerhecke filmen zu können. Sie war ein bisschen weit weg, doch, wenn Du genau schaust, kannst Du das bunte Treiben der Schmetterlinge entdecken.
Sie kamen zur Giselau und Blaue Feder begrüßte das Springkraut, das hier in allen Farbschattierungen wuchs. Wer es nicht so mit der Geduld hat, kann sich an das Springkraut wenden. Es kann Dir eine Geschichte von der Geduld und vom Altweiberzorn erzählen.
Zusammen saßen die Liebenden auf der Brücke und lauschten dem Singsang der Gieselau. Sie atmeten die frische kühle Luft und ließen sich vom Licht verzaubern.
Sie hatten heute nicht so viel Zeit für die ganze Runde, doch sie würden die Tage noch einmal in Ruhe wiederkommen.
Im Burger Fährhaus, im Land unter der Brücke, wartete nämlich ein Festmahl auf sie. Sie feierten heute ihren zweiten Hochzeitstag und 18 Schwäne waren gekommen, um mit ihnen zu feiern. Ein weiterer Schwan war in den Wolken zu sehen.
Die reifen Mirabellen lachten sie an. Blaue Feder hatte auch schon fleißig Mirabellen-Marmelade eingekocht. Ein Hund grub sich ein Loch zum Mittelpunkt der Erde.
Nach dem leckeren Essen, fuhren sie mit der Fähre Audorf über den Nord-Ostsee-Kanal. Bei ihrer Hochzeit hatten die Fährleute spitz gekriegt, dass sie gerade geheiratet hatten und drehten sich mit der Hochzeitsgesellschaft einmal auf der Hinfahrt und einmal auf der Rückfahrt mitten auf dem Nord-Ostsee-Kanal einmal im Kreis. Ein schöneres Ritual hätte das Leben nicht schreiben können. Nun kamen sie jedes Jahr wieder hierher und gaben sich in der Mitte des Kanals einen Kuß und begrüßten ein weiteres Jahr des Miteinanders.
Den Nilgänsen nach zu Urteilen, fuhren sie wohl auf dem Nil hin und her.
Die Sonne glitzerte auf dem Wasser, wie einst, als sie sich das Ja-Wort gegeben hatten. Auf der Audorf gab es einen Spruch, mit dem möchte sich Blaue Feder nun wirklich in den Urlaub verabschieden.
„Hin und Her. Stich für Stich näht die Fähre den Riss zusammen. Nicht nach dem Ziel fragen. Stillstehen ist nicht das Gegenteil von Fortschritt. Sisyphos und Ikarus erinnern an Faustens Blindheit.

Nur Gedanken überwinden senkrecht waagerecht lagernde Bedenken. Her und Hin. Rückkehr ist gespiegelter Abschied. Der Hybris der über die Brücke Eilenden zusehen. Wo ist der Horizont.

Schnelligkeit gebiert Langsamkeit. Hin erfordert Her. Jeder Horizont will seine Überwindung vertikal. Das Metronom schlägt unentwegt. Her und Hin.

Leise plätschernde Wellen bleiben im Gedächtnis. Mehr und schneller – langsam. Hin und Her.

Leben ist nicht die Sehnsucht woanders hinzugelangen, sondern das hier sein zu spüren. Senkrecht stehen mitten auf der Fähre. Der Horizont. Her und Hin.„

Blaue Feder wünscht Dir einen schönen Altweiber-Sommer!
Stillstehen ist nicht das Gegenteil von Fortschritt – und Leben ist nicht die Sehnsucht woanders hinzugehen, sondern das hier sein zu spüren… deine Worte gingen mir grad ins Herz. Danke dir dafür! Und gratuliere zum zweiten Hochzeitstag! Nina xx
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Danke, liebe Nina – das sind aber nicht meine Worte – sie standen auf der Fähre. Aber irgendwie haben sie auch mich angesprochen. Liebe Grüße, Susanne
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Hihi, das war ja eine sehr philosophische Fähre 😉
Geniess die Auszeit ✨
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Ja, die Fähren hierzulande bieten einige Überraschungen. 😘
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