Die Blaue Blume

Die Tage wurden wärmer und auch wieder kälter. Die Bewohner des Schwalbenhofes staubten ihre Gartenmöbel ab und stellten sie raus. Schon dreimal konnten sie wieder draußen frühstücken. Nun verlagerte sich das Leben wieder mehr nach draußen. Blaue Feder ging öfters in den Garten und sammelte hier und da das alte Laub von den Beeten. Sie schaute erst einmal in Ruhe, welche Pflanzen ihre Köpfchchen aus der Erde streckten. Sie freute sich, als sie die zarten Ohren der Schlüsselblumen entdeckte, die nun auch in ihrem Garten wuchs. Sie hatten ihren Platz zwischen den Silbermondtalern eingenommen.

Sie schaute sich ihre Hochbeete an und überlegte, wo sie welche Samen in die Erde bringen konnte. Sie wünschte sich noch mehr Hochbeete, solange sie noch keinen Acker hatte. Sie fing an, die Gartenkammer aufzuräumen. Als erstes begrüßte sie Tekla, die hinter einem Tongebilde am Fenster ihre Netze webte. Sie fegte vorsichtig um ihre Netze herum. Sie brachte alle Pflanzenkübel raus und schaute welche Pflanzen den Winter gut überstanden hatten.

Blaue Feder mistete die Gartenkammer ordentlich aus. Was sich da über den Winter alles angesammlet hatte. Sie schaute sich die Samen an, die sie vom vergangenen Jahr eingesammelt hatte und horchte, wo sie wohl augesät werden wollten. Da waren die Samen von der Gartensenfrauke. Blaue Feder hatte sie zu ihrer ganz persönlichen Pflanze des Jahres 2020 gekürt. Sie hatte sich zwischen den Steinen vorm Kellerfenster angesiedelt und das ganze Jahr fleißig Blüten hervorgebracht und immer mal wieder ein paar Raukenblätter für den Salat gestiftet. Blaue Feder tat ihre Samen in frische Erde und zog sie in einem Topf vor. Sie fand auch noch die Samen von einer Pflanze aus Graerup. Ihren Namen hatte sie schon wieder vergessen. Sie bekam auch einen eigenen Pflanztopf. Dann waren da noch Samen von ihrer Freundin von der Grünen Jungfer. Sie fand noch Mohn, Moschus-Malve, Knoblauchrauke und Stockrosen. Nach und nach würden sie alle ihre Plätze finden.

Während sie so vor sich hin wurschtelte, flog eine Bachstelze freudig piepsend über ihren Kopf hinweg und landete auf dem Dach des Schwalbenhofes. Blaue Feder freute sich. Lisa Wippsteert war wieder da. Lisa kam schon seit einigen Jahren auf den Schwalbenhof zum Nisten. Nun wurde erst einmal eine Runde geratscht und getratscht. Lisa erzählte von ihrer Reise in den Süden und Blaue Feder von der Winterzeit hier. Die Schleiereule hatte den Winter in der Scheune gewohnt und war nun wohl weitergezogen. Sie hatte sie schon länger nicht mehr gesehen. So hatten die kleinen Vögel jetzt wieder freie Platzwahl für ihre Nester. Vielleicht kam ja auch der Rotschwanz dieses Jahr wieder. Er hatte sich im letzten Jahr sehr beschwert, weil die Eule seinen Stammplatz eingenommen hatte.

Es war so schön, wenn alles wieder losging. Da gab es vertraute Abläufe, die sich wiederholten und manchmal gab es auch etwas Neues zu entdecken. Es war die Zeit, wo die Schmetterlinge aus ihrem Kokon schlüpften. Blaue Feder sah Zitronenfalten durch den Garten fliegen. Sie erinnerten sie daran, dasss sie jetzt jeden Morgen durch den ehemaligen Schweinestall gehen musste, die Kleinen Füchse und Pfauenaugen einzusammeln, die geschlüpft waren und sie in die Freiheit entlassen. Sonst würden sie an den Fenstern des Schweinestalls, die sich nicht öffnen ließen, verhungern. Wann sie dort im Jahr ihre Eier ablegten, blieb irgendwie ein Rätsel.

Jetzt wurde auch der Hof unter die Lupe genommen und geschaut, wo aufgeräumt und wo etwas ausbessert werden müsste. Das Wasserrohr zum Atelier war im Winter mal wieder geplatzt, obwohl sie das Wasser hatten ablaufen lassen. Brauner Bär nahm sich das Tennen-Tor vor. Es war in die Jahre gekommen. So fing er an, ein neues Tor mit Klönschnacktür zu bauen. Der ganze Hof roch nach frischem Holz und Leinöl. Sie hatten sich auch einen Spruch ausgesucht, der ihnen gut gefiel und den sie auf die Tür malen wollten.

‚Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, neent’t ook noch sien‘

So nahm das Leben wieder seinen Lauf. In den Pausen webte Blaue Feder eine Blume. Es war die Blume, die sie in ihrem Herzen gesehen und die sich in den blauen Sternenblumen mit ihren sechs Blütenblättern wiedergespiegelt hatte.

Sie nahm ein Stück von einer alten Gardine. Was sie schon alles aus dieser Gardine gewebt hatte: das Feenspiel-Buch, den Lebensbaum, das Birkenmädchen und nun noch die Blume des Lebens. Sie färbte den Stoff Indigo-Blau ein. Dann schaute sie in ihren Schatzkisten und fand Perlmuttknöpfe, Holzknöpfe mit Blumen, Schmetterlinge und Perlen von einem alten Mondstein-Armband. Sie hatte auch noch ein paar Federn von den Stockenten aus dem Tal der fließenden Quellen. Sie erinnerten Blaue Feder daran, bei all der Arbeit, die anstand, immer auch mal eine Pause einzulegen. Es musste nicht gleich alles auf einmal erledigt werden. Sie konnte sich eins nach dem anderen vornehmen und in den Pausen, wenn sie irgendwo auf einer Bank rumsaß und mit den Beenen baumelte, leuchtete blau die Blume des Lebens in ihrem Herzen.

Blume des Lebens

Erblühe von innen nach außen

In Pausen gewebt

6 Kommentare zu „Die Blaue Blume

  1. Danke, liebe Susanne, für Deinen wunderbaren “ Auferstehungsbeitrag“, ich las es, als sei ich neben Dir gegangen, um alles zu begutachten, Lisa hab ich auch gehört…Mit frohem Herzen grüsst sigrid

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  2. Wie schön!
    Diesen wunderbaren und sensiblen Bericht habe ich mit einem Lächeln im Gesicht und einem freudigen Herzen gelesen.
    Und dann noch die bewundernswerte blaue Blume !!
    Hinreißend kunstvoll sieht sie aus und ist ganz bestimmt ein Blickfang in eurem Haus.
    Ich freue mich und wünsche dir ein schönes und entspanntes Osterfest! 🐤🐤🐇 🌷
    Rosie

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    1. Danke, liebe Rosie fürs Lesen meiner Zeilen. Die Blaue Blume hängt nun in meinem Atelier. Mal sehen welche Blüten dieses Jahr erblühen möchten. Viel Glück für Euer Projekt! Ich schicke Dir ein paar Ostermontagsgrüße, Susanne

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